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Predigt zur Osternachtfeier 2020

Fürchtet euch nicht

„Fürchtet euch nicht!“, sagt der Engel zu den Frauen, die eigentlich nur zum Grab gekommen sind, um den worst case, also das schlimmste, was ihnen passieren konnte, irgendwie zu verarbeiten. Sie hatten ein Salbendöschen dabei, um Jesus noch mal zu salben, um eine Brücke zu haben von der Liebe, die sie miteinander verbunden hat zu der grausigen Wirklichkeit, dass diese Liebe tot ist, sein Lächeln, seine Zuwendung, sein Weg, den sie geteilt haben, seine Nähe, nie mehr für immer vorbei. Sein Körper, von dem so eine Wärme ausströmte, ist kalt.

„Fürchtet euch nicht!“, ruft der Engel auch uns zu. Angst, das ist ein großes Thema in diesen Tagen! Gründe gibt es genug: Die Ungewissheit, die Berichte, es könnte mir und Menschen, die ich liebe, an Leib und Leben gehen, der Blick nach vorne, der uns sagt, es wird wohl nie wieder so wie es war, und wie vieles geht vielleicht in diesen Tagen verloren. Die Angst geht um. Wie der Virus breitet sie sich aus, von einem zur anderen. Das Ganze wird gepuscht durch Sensationsberichte in den Medien, was eine schlimme Wirkung zeigt, indem es unseren Blick auf die Realität verzerrt.

In der letzten Woche wurde viel diskutiert über die Strategie des Umgangs mit dem Virus. Jemand hat gemeint, es sei wichtig, nicht mehr vom Virus getrieben zu werden, sondern durch verschiedene Maßnahmen vor das Virus zu kommen, dass wir schon da sind, wenn es auftritt und so darüber Herr werden. Das hat mir eingeleuchtet, durch Maske tragen, Handyortung, wenn es sein muss, ich bin dabei.

Ich glaube, das ist ein Bild für unsere Ängste: es geht darum, dass wir nicht mehr getrieben werden von ihnen, sondern vor sie kommen.

Diese Osternacht, die wir hier feiern, ist die große Chance dafür! Wie ist das möglich? Wenn es in dieser Nacht um Liebe geht, die alles ausgehalten hat und sich nun als grenzenlos, alles, ja den Tod überwindend zeigt, dann hat das persönliche Konsequenzen. Ich bin als ganzes angenommen, ich bin geliebt!

Zunächst mal ganz grundlegend: Ängste zu haben in verschiedenen Situationen ist ganz normal, sie sind ein positiver Teil unseres Wesens, sie schützen uns. Sonst würde man ja ein Leben lang mit der Hand auf die Herdplatte greifen. Manch einer hat schlimme Dinge erfahren müssen und wenn etwas ähnliches naht, dann kommen Ängste hoch. Bitte, das nicht nochmal! Niemand soll da erheben. Keiner weiß, was jemand anderes in den Knochen hat. Zur Selbstannahme gehört dazu, mich mit meinen Ängsten anzunehmen. Denn sie sind in mir angelegt, um mir zu helfen, mich zu schützen, um aus Geschehenem zu lernen, sie sind ganz positiv ein Teil von mir, und Gott sah bei meiner Schöpfung, dass es sehr gut war!

Durch dieses Wissen geschieht etwas Wunderbares. Von Herbert Grönemeyer gibt es ein Lied „Angst“. Er zählt darin lauter Dinge auf, vor denen man Angst hat. Angst vor dem .., Angst vor der …, der letzte Vers lautet: Angst vor der Angst! Wenn ich angenommen bin mit meinen Ängsten, dann muss ich keine Angst vor meinen Ängsten haben. Und das verändert alles! Ich bin ihnen nicht mehr wehrlos ausgeliefert, ich kann mitm ihnen reden, was sie mir denn jetzt in diesen Tagen sagen wollen und kann ihren Grund kritisch hinterfragen. Z.B. die Mütter, die bei ihren Ärzten angerufen haben, weil im Fernsehen haarklein berichtet wurde, wie ein 16 jähriges Mädchen in Frankreich an Corona grausig gestorben ist, können sich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Tochter stirbt, im Straßenverkehr ungleich größer ist.

Aber ist das nicht zu einfach? Ich glaube, der Haken liegt darin, dass die Grundannahme keineswegs selbstverständlich ist: Im Kopf ist es vielleicht so, dass ich weiß, ich bin angenommen, aber glaube ich es auch? Und das Schwierige und zugleich das Schönste liegt darin, dass es für diese Grundannahme nichts anderes als Vertrauen gibt, Liebe kann man nicht beweisen. Für die Liebe gibt es nur Zeichen. Und das ist gut so, denn Vertrauen ist ja das, was Liebe ausmacht in ihrem tiefsten Kern. Wie schön ist das, wenn ich vertrauen kann oder wenn jemand mir vertraut. Aber auch, was für eine Herausforderung, es treibt mich zum Guten wie nichts anderes! Bloß, Vertrauen kann man nicht machen, es ist ein Geschenk, wenn ich den Zeichen der Liebe glauben kann.

„Fürchtet euch nicht!“, ruft der Engel. Ich meine, es sind vertrauensstiftende Maßnahmen, wenn er gleich zu Beginn den Frauen zeigt, wozu er in der Lage ist, ein gewaltiges Auftreten, der Stein vor dem Grab wird weggewälzt. Seine Gestalt leuchtet wie der Blitz! Die Wächter beginnen vor Furcht zu zittern. Der hier ist stärker und größer und herrlicher als alles, wovor ihr Angst habt. Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit, heißt es schon in den Psalmen! Der Engel ist das Zeichen, dass ihre Ängste und ihre Trauer nicht das Letzte sind, dass sie zur Freude werden sollen, dass die schreckliche Erfahrung, die sie machen mussten, nun zu einem umso tieferen Lebensglück führt. Es ist die Einladung: Habt Vertrauen!

Und mit dem Vertrauen kehrt eine gewisse Gelassenheit ein. Gott kann aus dem größten Scheiß, der mir passiert, Humus für mein Leben machen, an dem ich wachse und blühe und gute Früchte hervorbringe! Genau so ergeht es hier den Frauen!

Bloß, wie findet man dahin, so zu glauben? Es hilft nicht, sich Dinge schön zu reden, immer nur das Schöne und Gute einer Sache zu sehen und das andere zu verdrängen. Das löst nur neue Ängste aus, weil ich mich und die Dinge, die da passieren, wiederum nicht annehme, nicht zulasse. Das Corona-Virus ist kein Segen!

Andreas Knapp führt auf eine andere Spur. In einem seiner Gedichte steht: Wie zärtlich muss mir gesagt werden, dass ich geliebt bin, bis ich es wirklich glauben kann.

Deshalb ist der Engel mit seinem mächtigen Auftreten auch erst der Anfang, ein erstes Entdecken, vielleicht so etwas, dass es als Möglichkeit in ihnen ist, dass es anders sein und werden könnte. Zum Wachsen von Vertrauen braucht es mehr. Es muss uns ganz zärtlich gesagt werden.

„Fürchtet euch nicht!“, das hören die Frauen im Evangelium noch einmal. Es wird berichtet: „Plötzlich kam Jesus ihnen entgegen und sagte: Seid gegrüßt! Sie gingen auf ihn zu, warfen sich vor ihm nieder und umfassten seine Füße. Da sagte Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht!“

Wie das wohl für die Frauen war? Mit einem Mal ist alles, was sie zuvor an Gutem mit ihm erlebt hatten, an Wahrheit und Sanftmut und Vergebung, die aus den eigenen Sackgassen herausführt auf die Straße zum Leben, nicht mehr verloren. Sondern es zeigt sich ihnen in einem ganz anderen Licht, es ist nun endgültig, verwandelt zu einer noch viel größeren Zusage und Zuwendung, als Erfahrung einer Liebe, die wirklich gilt! Auch der worst case, den sie erleben mussten, ist Teil davon, ja sogar die tiefste Ursache. So sehr hat Gott die Welt geliebt! Fürchtet euch nicht! Dafür draucht es die Erfahrung, dass er ihnen entgegenkommt, die Begegnung mit ihm; die Gewissheit: Er lebt! Hier ist an das Gebet zu erinnern, wo wir die Begegnung mit ihm suchen. Beten ist christlich immer, dass mich von ihm lieben lasse und ganz still und selbstbewusst sagen darf: Hier bin ich!

Aber Jesus hat noch eine Verheißung: „Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, und dort werden sie mich sehen.“ Galiläa, das ist ihre Heimat, die Gegend, wo sie herkommen. Dort, wo sie leben, werden sie ihn sehen. Wenn er lebt, dann bekommen alle Erfahrungen von Liebe und Güte ein anderes Gewicht, verlieren ihre Flüchtigkeit, sondern werden zur Begegnung mit ihm! Du kannst ihn sehen, da wo Du bist. Und allem, was Ängste in uns auslöst, können wir mit einer Gelassenheit reagieren. Es kann daraus Humus werden, es kann zu einer Begegnung mit ihm werden, die uns mehr verändert und zum Guten führt als anderes. Und wir können diese Begegnung miteinander teilen, wenn wir sein neues Gebot erfüllen: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!

Ich habe in diesen Wochen wieder einmal in einem der beeindruckensten Bücher gelesen. In den heimlich mit gefesselten Händen geschriebenen Aufzeichnungen von Alfred Delp, als er im Herbst 1944 in Plötzensee auf seinen Prozess wegen Hochverrats wartete. Die Zettel mit kurzen Notizen, Grüßen und Briefen hat er meist anonymisiert in der Wäsche versteckt aus dem Gefängnis bringen können. In dieser einsamen ungewissen Situation hat er an einer Stelle geschrieben:

„Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für sehr ( … ), für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein zu machen bzw. werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir so oft gesucht haben.“

Wir können ihm begegnen, in der Osternacht öffnet sich der Brunnenpunkt! Auch in der Corona-Krise können wir uns voller Freude FROHE OSTERN wünschen.