Herzlich Willkommen

Predigt zum 30.08.2020

von unserem Pfarrer Vornewald

Erinnern Sie sich an den letzten Sonntag? Der Petrus hatte für die anderen mit gesagt, was wohl gemeinsame Einsicht geworden war: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Vielleicht hat sich manch einer von uns gefragt, ob der Petrus da auch in meinem Namen gesprochen hat. Wie würde ich es formulieren? Vielleicht hat aber auch manch einer sich gefragt, was denn damit gemeint ist, was es beinhaltet: „der Christus“. Früher stand dort „der Messias“. Mit „Christus“ wird in der erneuerten Übersetzung stets das früher gebräuchliche Wort „Messias“ übertragen. Christos im griechischen heißt wörtlich „der Gesalbte“, die Silbe Chris erinnert an das heilige Chrisam, mit dem Priester, Propheten und Könige gesalbt wurden. Er ist der, den Gott gesalbt, beglaubigt hat, der, auf den das Volk Israel gewartet, die große Erfüllung, die Gott verheißen hat. Die Apostel, die mit Jesus gelebt haben, die für ihn alles verlassen haben, sie sind sicher: Das ist er! Wie er spricht, wie er mit den Menschen umging, wie die heil wurden, die ihn auch nur berührt hatten, was sie selber an ihm erfahren und gelernt hatten: das ist er! Und „Sohn des lebendigen Gottes“ meint auch eine unüberbietbare Qualität: Die Apostel mussten nur zuhören, dann konnten sie darauf kommen. Denn immer hatte Jesus von seinem Vater, seinem „Abba“ gesprochen, wie nie jemand zuvor. Du bringst uns Gott, bist Gott, der uns in Dir seine Hand ausstreckt, der in Dir zu uns gekommen ist. Darin hatte es sich gezeigt für sie!
Genau hier geht heute der Text vom letzten Sonntag weiter, es ist eigentlich eine Erzählung, die wir an zwei Sonntagen hintereinander hören. Wenn man sich in die Situation einfühlt, dann kommt einem der Eindruck, dass sich Jesus wohl verstanden fühlt, so dass er sich seinen Jüngern weiter öffnet. Es ist das erste Mal, dass dieses Bekenntnis so explizit formuliert ist von seinen Jüngern. Und es ist zum ersten Mal, dass Jesus ihnen von seinem Sterben und Auferstehen erzählt, es ist an der Zeit, dass sie in die Innenseite seines Auftrags eingeführt werden, was es beinhaltet, dass der Messias gekommen ist. Wie es sich erfüllt, was seit Jahrhunderten verheißen ist, erhofft, ersehnt wurde. Wenn der Messias kommt, dann …
Da heißt es: „Jesus begann, seinen Jüngern zu erklären: Er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten vieles erleiden, getötet und am dritten Tag auferweckt werden.“ Nach dem, was sich vorher aufgebaut hatte, ist dies doch sehr befremdlich. Was hat das mit dem Messias Gottes zu tun? Die Antwort darauf ist sehr gewichtig. Es geht um das, was unseren Glauben ausmacht, wo unsere Freude herkommt, woraus wir Kraft schöpfen! Es macht mich traurig, dass ich den Eindruck habe, dass es unter uns als Christen nicht die innere Mitte ist, dass wir es nicht wirklich thematisieren, dass sich unter uns dafür wenig Bewusstsein entwickelt hat. Obwohl wir es als unseren Bekenntnisnamen tragen, wenn wir „Christen“ genannt werden. Und dies an zentralster Stelle in jeder Messfeier thematisiert wird. Seit der großen Liturgiereform, wohl auf einen Impuls von Papst Paul VI zurückgehend, gibt es direkt nach der Wandlung einen Einschub, der den Gebetsfluss irgendwie unterbricht. Da erfolgt der Ruf: Geheimnis des Glaubens! Geheimnis meint hier Mysterium, also das, was unseren Glauben in seinem Inneren ausmacht: Und alle sprechen: Deinen Tod, o Herr verkünden wir, Deine Auferstehung preisen wir, bis du kmmst in Herrlichkeit. Die Jünger werden nach ihrem Bekenntnis in dieses sein Mysterium mit hineingenommen, sie sollen sich dafür öffnen. Warum ist dies die Erfüllung aller Verheißung, das, worauf alle Sehnsucht zielt? Wenn man nun nach dem fragt, was viele von uns mal gelernt haben, so ist vielleicht die Antwort: Er ist gestorben wegen unserer Sünden. Wenn ich das höre, dann wird mir ganz unwohl: Ich tue mich schwer mit der Strophe: Was du Herr hast erduldet, ist alles meine Last, ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast! Auch möchte ich nicht, dass jemand für mich sterben muss. Zumindest nicht, wenn ich immer mit einem schlechten Gewissen herumlaufen muss. Es vielleicht sogar darum geht, dass ich dieses bekomme. Vielleicht sogar so, dass Jesus ein ganz großes Opfer bringen musste, um den durch meine Sünden erzürnten Gott zu besänftigen, Deine Gnad’ und Jesu Blut, machen alles wieder gut! Ist etwa Jesus gut, aber Gott böse?
Ich versuche auf andere Weise, daran zu gehen. Das ganze Leben Jesu ist eine einzige große Zuwendung Gottes zu uns, von seiner Empfängnis und Geburt an. Er teilt alles mit uns, unser Menschsein. Lange bevor er irgendein Wort gesprochen hat, ist er schon das Wort Gottes, in ihm drückt sich Gott aus, er ist das fleischgewordene Wort Gottes. Und er wendet sich den Menschen zu, indem er heilt, tröstet, stärkt, versöhnt und vergibt, den Willen Gottes erschließt. Eine unermessliche Güte erfahren die Menschen, zärtliche Gesten schenkt er, er lässt Nähe zu, wer ihn berührt, wird heil. Und wenn nun seine Liebe noch größer ist, noch weiter geht, über das, was gesagt und getan werden kann, hinaus? Wenn der geheimnisvolle Name Gottes sich erfüllt, er da ist, auch wo es nichts mehr zu sagen gibt, keine Tat mehr hilft, er also mitträgt? Ja auch noch darüber hinaus es nicht nur mit, sondern auch für uns trägt, schweres übernimmt, um es uns leicht zu machen? Wenn sich in diesem größer, weiter, tiefer Liebe zeigt, geschenkt wird, so dass wir hier erst entdecken und stammelnd lernen, was Liebe ist. Oder anders: entdecken, was wir irgendwie immer schon wussten. Sich selber als Empfänger dieser Liebe wahrnehmen dürfen, das ist die Einladung der ausgebreiteten Arme und des offenen Herzens am Kreuz!
Ich habe eine Spur, die noch weiterführt: Er sei für uns zum Fluch, zur Sünde geworden, sagt der Apostel Paulus. Seine Liebe geht so weit, dass er das Böse, was es in uns und anderen bewirkt hat, auf sich nimmt, um es in die Liebe heimzuholen. Er habe am Kreuz den Tod totgeliebt, hat Klaus Hemmerle gesagt, er sei am Kreuz bis an den Ort gelangt, der auf Erden am weitesten entfernt ist von Gott, und so ist dieser Ort nicht mehr gottlos, sondern liebevoll. So beruhigt sich in uns die unauslotbare Angst: Du bist nicht verloren, wo Du auch hingelangst, selbst wenn du es verschuldet hast, Er ist da!
Eines muss mitgehört werden: Von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten, sagt Jesus in seiner Ankündigung. Das Evangelium ist Aufweis des liebenden Gottes, es ist auch Kampf gegen diese Gruppen, die Jesus anklagt, weil sie diesen, seinen Gott den Menschen verstellen, verdunkeln, wo sie doch in seinem Namen auftreten. Nie sagt Jesus ein hartes Wort, aber in dieser Frage ist er unerbittlich, absolut kompromisslos. Er wird durch sie vieles erleiden, sie werden ihn töten, sagt er. So stirbt er für die Wahrheit seines Gottes, der sich uns in ihm, ja als er zugewandt hat, und bezeugt uns so seinen Gott.
„Und am dritten Tag auferweckt werden!“, geht die Ankündigung Jesu weiter! Dass seine Liebe größer, weiter, tiefer geht. Sein Vater wird ihn auferwecken, dies ist wahre Gott. Jemand lieben heißt, ihm sagen: ich will, dass du lebst! Das erweist sich an Jesus, erweist sich an uns durch Jesus!
In der neuen Übersetzung heißt es nicht mehr nachfolgen, sondern es wird präziser übersetzt: „hinter mir hergehen“. All das, was Jesus dann beschreibt, ist Einladung und Einweisung in dieselbe Haltung. Sich wie er loszulassen in den Willen des Gottes, der sich als Liebe erwiesen hat, nicht mehr aus der Angst zu leben, das Leben retten zu müssen. Mit ihm zu lieben, sein Leben zu verlieren, und genau darin sein Leben zu finden, weil dies tiefste Selbstannahme ist. Oder verwirklicht sich jemals ein Mensch mehr als der, der liebt? Wir sind dazu befreit und befähigt durch den Glauben, so groß, tief und weit geliebt zu sein.
Dies ist die von ihm gegebene Wirklichkeit der Kirche. Und immer, wenn sie sich dem verweigert, wird sie zum Ärgernis. Das musste schon Petrus, der erste Papst erfahren, sozusagen direkt nach seiner Inthronisation, nein, das ist kein schönes Wort, es passt nicht zu Jesus, sagen wir besser: Berufung!