Predigt zum 14.06.2020
von unserem Pfarrer Vornewald
Manchmal bleibt einem etwas haften. Es ist schon mindestens zwanzig Jahre her, als wir mit drei, vier Priestern ein Treffen mit Bischof Leo Nowak hatten. Er gab uns dabei eine Einführung in unser Gespräch zu Worten des heutigen Evangeliums. Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter.“ Und er war davon überzeugt, dass das von den allermeisten Christen bei uns nicht geglaubt wird. Umgangssprachlich sagte er: „Da kannste nix machen, da gibt’s bei uns nix zu ernten.“ Wer das jahrelang mitgemacht hat unter seinen Arbeitskollegen, wie sie ticken, worüber geredet wird, wofür man sich interessiert, der kommt vermutlich zu genau diesem Befund. Da kannst Du nicht landen mit deinem christlichen Glauben, da ist nix zu ernten. Und nun, 20 Jahre später, kommen noch die ganzen Verhärtungen dazu, die Spaltungen in der Gesellschaft, wo manchmal das gegenseitige Vertrauen und die Wertschätzung gegen null gehen. Und über die Kirche sind diverse Stürme gefegt, vor allem das Öffentlichwerden des Kindesmissbrauchs durch Priester lässt einen bald verstummen: da ist nix zu ernten! Man ist ja froh, wenn man selber noch glauben kann.
Vielleicht hilft es ein wenig weiter, wenn wir den Satz zuvor bedenken. Vielleicht gibt es ja Anknüopfungspunkte für uns: Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Zunächst könnte es Kirchenmanager und -macher ja stutzig machen. Das erste Interesse geht bei Jesus nicht dahin, etwas zu erreichen, für sich und die Jünger etwas herauszuschlagen, sondern er sieht auf die Menschen in ihrer Situation. Ihm geht es darum, wie sie leben, was ihnen fehlt, was sie an Leid und Mangel haben. Sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Sie leben ohne wirkliche Orientierung, sind innerlich ausgebrannt und vermutlich mit ihrem Leben überfordert. Und es sind viele, der eine läuft dem anderen hinterher, es entsteht Sozialdruck, jede und jeder fügt sich hinein. Man redet Meinungen hinterher, fühlt sich in der Masse stark und merkt vielleicht gar nicht, was man alles sagt und tut, nur weil es ja alle machen. Und wenn dann noch das Gift des Neids dazu kommt, dann ist das nächste Gift Selbstmitleid nicht mehr weit. Und in dem Wunsch möglichst viel für sich zu haben, alles mitzunehmen, wird man schnell sehr müde. Denn dafür braucht man ja viel Geld, und muss sich allem möglichen Stress unterwerfen und vielleicht dann doch resigniert feststellen, dass man ja doch nicht dazu gehört, wenn man sich mit den anderen vergleicht. Und sie sind hin und her geschaukelt von den Gegebenheiten ihres Lebens, bangen um ihre Gesundheit und die lieber Mitmenschen, haben vielleicht Sorgen, wie es weitergeht. Bei meinen Spekulationen, was Jesus da bei den vielen Menschen gesehen hat, bin ich mitten bei dem gelandet, was er wohl heute sehen würde, wenn er auf die Massen von Menchen schaut. Dabei klingt keinerlei Verachtung durch in der Beschreibung des Evangeliums, sondern nur sein Mitgefühl.
Wenn man es so sieht, dann muss man ihm doch Recht geben: die Ernte ist groß, so viele Menschen, die er alle sieht und liebt, wie Schafe ohne Hirten. Das erste, was es braucht, ist Gebet, das Bewusstsein, dass es nur Gott ändern kann.
Es gibt vielleicht noch etwas zweites, wo unser Glaube unterentwickelt ist: Man muss darauf schauen, was Jesus macht, um gute Arbeiter zu bekommen für diese Menschen, mit denen er mitfühlt. Es heißt: „Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.“ Mit dem Glauben sind Befähigungen mitgegeben, er ist wirklich eine Kraft, in der man für andere Menschen gut sein kann! Die Worte der Lesung sind ja der Botschaft unseres Evangeliums zugeordnet. Es lohnt sich, da hineinzuhorchen. „Mose stieg auf den Berg zu Gott hinauf. Da rief ihm der HERR vom Berg her zu: Das sollst du dem Haus Jakob sagen und den Israeliten verkünden: Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlersflügeln getragen und zu mirgebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören!“ Wenn das kein Bild ist: „Ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk!“ Ich glaube, was uns mangelt, ist ein gesundes und ausgeprägtes Selbstbewusstsein, dass glauben bedeutet, aus seiner Kraft leben zu können! Dabei haben wir doch die Taufe und die Firmung empfangen. Und damit das Priestertum aller Glaubenden. Im Zweiten Vatikanum wurde das Zueinander von Amt und Gottesvolk neu geordnet. Das Bischofs- und Priesteramt wurde dort Dienstamt genannt, das eigentlich Königliche ist das Volk Gottes. Und der Empfang des Heiligen Geistes ist doch eine Vollmacht, so wie es von den Aposteln heißt. Dass Jesus 12 Apostel sendet, ist eine große Symbolhandlung: Die zwölf Stämme Israels, nun die zwölf Apostel, denn sie sind das neue Gottesvolk. Das Volk des Bundes Gottes, der durch Jesus Christus geschlossen ist!
Um Selbstbewusstsein in einer Sache aufzubauen, braucht es Erfahrungen: Daran erinnert Gott den Mose, daran, wie das mit den übermächtigen Ägyptern war, wie sie auf Adlersflügeln getragen wurden. Man muss etwas von der Vollmacht wahrgenommen haben, von seiner Kraft, von seiner Wirkung, von der Jesus spricht. Sonst wird man dem nicht trauen. Man zaudert und ist gehemmt.
Und dann geschieht etwas außergewöhnliches: Die zwölf Apostel, die er sendet, werden alle mit Namen genannt. Sie sind bei ihrem Namen gerufen. Also als Persönlichkeiten, mit ihren Fähigkeiten, mit ihrer Art, jeder anders. Und der Blick auf ihre bisherigen Lebensgeschichten ist sehr erstaunlich. Es genügt, was uns das Evangelium davon erzählt. Sie sind einfache Leute, er hat sie als Fischer von den Netzen weggerufen. Auf der einen Seite zwölf Personen, die das neue Gottesvolk verkörpern, auf der anderen Seite Petrus, sein Bruder Andreas, Jakobus und sein Bruder Johannes und die anderen, bis hin zu dem, der ihn verraten wird. Er sendet sie, man fragt sich: hat er keine besseren? Derselbe Bischof Leo Nowak hat mal gesagt, dass der Bauer nur mit den Ochsen pflügen kann, die er hat … Jesus hat sie, diese Zwölf. Und er sendet sie.
Soll man hinzufügen: Er sendet uns? Nicht, weil die Kirche so großartig ist, also wir, besser als andere, als die roten Socken oder sonst irgendwer, über den man sich erheben könnte. Nein, deshalb, weil da so viele Menschen sind, die es brauchen. Er ruft den Zwölfen zu: Geht und verkündet: das Himmelreich ist nahe. Aber nicht als leere Ideologieformel, sondern als Intention, in der uns um Menschen und ihr Leben geht! Dass sie geheilt werden von allen möglichen Krankheiten, auch von ansteckenden. Vielleicht kann man ja das Austreiben von Dämonen auch mal sehen als das innere Heil- und Reinwerden von Ängsten, von Erfahrungen, die zur Selbstverachtung geführt haben. Und gesandt zu teilen, wo Menschen vielleicht in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Und nicht bis zum Sanktnimmerleinstag warten, bis es los geht. Bis es die institutionelle Caritas dann doch besser in die Hand nimmt …
Genau so, wie es die Apostel getan haben. Sie sind losgezogen, als ganz normale Leute. Etwas war vielleicht doch nicht so gewöhnlich bei ihnen: Sie hatten mit Jesus gelebt, hatten ihn erfahren, waren in seine Lebensschule gegangen. Das biblische Wort „Jünger“ wird im englischen mit discyple übersetzt, da ist Disziplin drin, man könnte sagen, sie waren seine Schüler. In der Lebensschule Jesu? Hier kommt unsere Gemeinde ins Spiel. Sie ist unsere Lebensschule Jesu, wo wir wesentliche Dinge lernen können von der gegenwart Gottes, von der Sicht Jesu auf die Menschen, wo wir miteinander beten und Leben teilen, wo wir aus der Taufe heraus neu geboren sind aus Gott, so dass wir Kinder Gottes sind und nicht nur Kinder unserer Zeit. Die Gemeinde ist aber kein Selbstzweck, sondern ist der Ort, wo wir uns senden lassen, durch das Sakrament der Firmung besiegelt. Denn alles, was wir da empfangen durften, sollen doch andere Menschen auch erfahren können. Der letzte Satz des Evangeliums lautet: Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben. Eine Ordensschwester, die uns erzählte, wie sie mit anderen Schwestern versucht, Prostituierten eine Chance zu geben und dazu mit ihnen leben, wurde von einem Pfarrer gefragt: Schwester, wie können sie das? Sie antwortete: Ich weiß, ich bin nicht besser, ich habe es nur besser gehabt!