Herzlich Willkommen

Predigt zum 24.01.2021

von unserem Pfarrer Vornewald

Wenn Du jemand anderes verstehen willst bei einem Gespräch oder einer Begegnung oder einem Brief, dann sei ganz wach und höre auf die ersten Worte oder die erste Geste. Denn ganz oft ist schon in den ersten Worten das Thema, um das es geht, ganz präsent.

Das gilt auch für das Markusevangelium, das wir in diesem Jahr von Sonntag zu Sonntag hören. Was will Jesus, worum geht es ihm, wofür schlägt sein Herz? Natürlich muss man dazu das ganze Evangelium studieren, muss Zeit und Liebe investieren, sich persönlich ansprechen lassen von Worten, Gesten und Taten, die berichtet werden, und sich bei scheinbaren Widersprüchen nicht vorschnell aus der Bahn werfen lassen. Das werden wir das ganze Jahr über mit dem Markusevangelium versuchen. Ich bin mir sicher, dass wir reich fündig werden! Doch um was es Jesus geht, das ist schon in seinen allerersten Worten sehr klar zu hören: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe, kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Das ist der Anfang, mit diesen Worten geht alles los. Natürlich stehen diese Worte nicht im luftleeren Raum, sondern haben ihren Anlass. „Nachdem Johannes der Täufer ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa, er verkündete das Evangelium Gottes“, heißt es. „Ich muss abnehmen, er muss wachsen“, hatte Johannes gesagt. Er macht den Weg frei. Mit seiner Buß- und Umkehrpredigt bereitet er die Menschen vor auf Jesus. Aber anders, als man auf den ersten Blick denkt: die Menschen stoßen an ihre Grenzen in der Begegnung mit Johannes. Genau so werden sie offen für das neue, die ganz andere Botschaft Jesu. Nicht nur nach meinem guten Willen wird gefragt, kein Appell, sich noch intensiver zu bemühen, das alles greift viel zu kurz. Bringt übrigens nebenbei bemerkt auch nur noch mehr Verdruss, wenn man meint, man könne so die Kirche erneuern.

Die ersten Worte sind viel eher so wie die Erfahrung des Täufers, als Jesus getauft wurde: „Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube.“ Nicht mehr warten, den Weg bereiten, mit aller Kraft versuchen, es möglich zu machen, sondern: „Die Zeit ist erfüllt!“ Das ist die erste Ansage, die sich im Evangelium Stück für Stück aufschließt. Wenn das die Botschaft des Evangeliums ist, dann gibt es für Christen kein Leben in der Warteschleife. Im Moment ist das wieder ganz intensiv eine Versuchung: Wenn Corona vorbei ist, dann … solange aber findet das Leben nicht wirklich statt. Solange müssen wir aushalten … Bloß: jeder Tag, der so vergeht ist vielleicht einer, wo ich nicht wirklich gelebt habe. Wenn sich erfüllt, was ich so dringlich erwarte, dann …, aber es steht da: „Die Zeit ist erfüllt!“

Für mich wäre es sehr traurig, wenn ich hinter diesen Satz zurückgehe würde? Ich habe das bitter lernen dürfen auf einem Pilgerweg: Auf dem Weg nach Jerusalem gab es hinter Istambul sehr lange und steile Berge. Ich war verzweifelt, ich kam nicht hoch, ich war zu schwach. Ich habe angehalten, weil nichts mehr ging. Dabei kam mir ein Buch in den Sinn von einer Frau, die nach einem Unglück querschnittsgelähmt war. Ein Freund hatte es mir geschenkt. Sie erzählt, wie sie verzweifelte und dann den Impuls bekam, dass sie genau diese Situation lieben lernen muss. Mir wurde klar, ich muss diese Berge lieben! Ja, ich hatte versucht, sie zu akzeptieren, hatte eingesehen, dass ich jetzt hier durch muss, aber lieben? Ich beschloss, mir einen Wiederholungssatz zu suchen: So wie es ist, ist es gut, ich danke dir! Das habe ich dann die ganze Zeit wiederholt. Und noch etwas: Ich muss es nicht aus meiner Kraft bewältigen, sondern nur den immer nächsten Schritt, auf dem Fahrrad den nächsten Tritt tun. Darum habe ich mir verboten, hoch zu schauen und zu wissen, wie weit noch. Der Überblick, den ich dadurch hatte, hat nur gelähmt, hat mir nur mein Kleinsein vor Augen geführt (vielleicht etwas von dem, was die Bußbotschaft des Täufers auslöst). Das schaffe ich nie. Ich bin dann Tritt für Tritt und nur immer so stark, dass ich jetzt weiter kann, hoch gefahren und wenn ich keinen Tritt gefasst habe, habe ich geschoben. So bin ich die Berge hoch gekommen. So wie es ist, ist es gut! Ich danke dir. Das habe ich wiederholt. Auch als dann mal wieder bergab bin. In jedem Augenblick habe ich Grund zu danken! Nach zwei Tagen passierte etwas sehr glückliches: Es ging wieder hoch, ich schaute wieder nicht hoch, um es zu überlassen. Als ich runterschaute auf die Erde, sah ich, als hätte ich es noch nie gesehen, wie mein Fahrrad rollt. Und es stieg eine große Freude in mir auf. In dem Augenblick habe ich jedes Vergleichen hinter mir gelassen und nur diesen Moment wahrgenommen: Mein Fahrrad rollt, ich bin auf dem Weg, wie schön!

Wenn es uns gelingt, das Vergleichen mit anderen Tagen zurück zu lassen und diese Tage lieben zu lernen, all das, was jetzt ist, als meinen, unseren Weg bewusst zu gehen, dann ist doch heute erfüllte Zeit. Das heißt nicht, dass man die Gefahren, ja die Not verharmlost, aber doch einen anderen Umgang damit hat. Und dabei vielleicht manches entdeckt, wo heute gilt: „Sein Name ist IMMANUEL: Gott ist mit uns!“ Sonst verpassen wir, wie der erste Satz Jesu weitergeht: „Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe!“ Zum Beispiel, dass mit dem Aufsetzen des Mund-Nase-Schutzes immer auch eine Botschaft der gegenseitigen und eigenen Wertschätzung einhergeht, und manche auch schmerzliche Konsequenzen, dass Oma und Enkel vielleicht Abstand halten, immer auch sehr liebevolles und verbindendes haben. Vielleicht ist es sogar so, dass dies für die wirkliche Not öffnet und die Kraft schenkt, sie mitzutragen und zu lindern, wenn möglich. Nicht wir müssen es schaffen, das Reich Gottes, es ist mit Jesus nahe gekommen und wir dürfen es leben!

Und die Konsequenzen ziehen: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“, heißt es weiter. Wobei „Kehrt um“ nichts moralisches meint, wo man nur wieder hinter die allererste Aussage zurückfällt. Als erstes ist gesagt: „Die Zeit ist erfüllt!“, das folgende entfaltet diesen Punkt und nimmt ihn nicht wieder zurück! Sondern es ist eher so zu verstehen: Denkt anders und neu! Lebt aus dieser anderen Perspektive. Ich habe den Eindruck, dass das etwas sehr entlastendes und befreiendes ist. Ja, es geht bergauf und es ist anstrengend, aber sieh darauf, dass es dadurch umso schöner ist, dass dein Fahrrad rollt, dass Du jetzt in diesem Tagen unterwegs bist zum großen Ziel, dem Reich Gottes, und das ist schon nahe.

Und dann ist da noch die Aufforderung: „… und glaubt an das Evangelium!“ Darin steckt die unbedingte Annahme, dass hier das ambivalente, das immer zweideutige überwunden ist: glaubt an das Eu-angelion: „Eu“ heißt soviel wie gut, froh, beglückend und in „angelion“ steckt angelos Engel. Setz Vertrauen da hinein. Wie oft wird Jesus im Evangelium sagen: Dein Glaube hat dir geholfen! Es ist der Glaube, dass jetzt erfüllte Zeit ist, und wir können glauben, können uns selbst überlassen, müssen es nicht selber erzwingen, sondern können Tritt für Tritt immer weiter durch diese Zeit gehen, durch diese erfüllte Zeit!

Und dann werden wir in eine Eigenart des Markusevangeliums eingeführt: Es wird eine programmatische Ansage und danach eine Geschichte erzählt, in der jeder verstehen kann, was damit gemeint ist: Als Jesus am See von Galiläa entlangging … Und dann folgt die sog. Berufung von Petrus und Andreas und Jakobus und seinem Bruder Johannes. An meinem Geburtstag habe ich ein Witzebuch bekommen. Da ist auch diese Stelle thematisiert: Der Lehrer fragt: Sie waren zunächst Fischer, denn sie haben Fische gefangen, was werden sie denn, als sie zu Jesus kommen? Der kleine Paul meldet sich: Polizisten! Der Lehrer runzelt die Stirn. Ja, sagt Paul, denn jetzt sollen sie Menschen fangen! Gut geschlossen. Gut gemacht, Paul! Richtig daran ist wohl, dass sie aufpassen sollen, dass sie achtsam sind. Dass es einen Wechsel in der Grundausrichtung geben wird. Ging es ihnen bislang um Fische, so wird es ihnen jetzt als erstes um Menschen gehen.

Man kann staunen und auch erschrecken, dass sie auf der Stelle alles zurücklassen und mit Jesus gehen. Ja, sie lassen sogar den eigenen Vater und das gemeinsame Werk zurück, und damit die eigene Sippe und damit alle Absicherung. Man kann aber auch daran sehen, dass die allererste Ansage Jesu so groß und stark ist, dass sie unbedingt gilt, dass richtig ist, ihr zu folgen und sich nicht hindern zu lassen, und seien es die engsten Lebensbindungen, und sei es eine Pandemie!