Herzlich Willkommen

Predigt zum Ersten Advent 2020

von unserem Pfarrer Vornewald

Liebe Freunde,

eigentlich wären wir am Samstag in Magdeburg zum Oasentag zusammen gekommen. Konrad Harmansa und ich, wir hatten uns schon sehr darauf gefreut. Nun musste unser Zusammensein leider abgesagt werden. Wir sehen das ein, weil es einfach besser so ist. 

Ich weiß nicht, wie das bei Euch/Ihnen ist. Bei mir fällt dann schnell so ein Tag einfach aus. Aber das ist nicht gut. Und da auch eine Reihe bei uns ihr Bedauern ausgedrückt haben, haben wir zu einem persönlichen Oasentag mit einigen digitalen Impulsen eingeladen. 

 Dabei geht es um ein Bild. Deshalb habe ich es so gemacht, dass Ihr mehrere Mails bekommt, denn das Bild mit verschiedenen Ausschnitten mit einigem Text überfordert die Kapazität einer Mail. Ihr seid gebeten, das Bild (bzw. den entsprechenden Ausschnitt) in der angehängten Datei zu öffnen. So kann man auch sehr einfach das Bild anschauen und den Text in der Mail parallel lesen. vielleicht ist es gut, das Gesamtbild auszudrucken. Anstelle einer klassischen Predigt soll das mein Gruß zum ersten Advent sein.

Man kann die Mails nacheinander durchgehen als einen Anstoß, man kann es aber auch von Tag zu Tag anschauen, als eine Art Wegbegleiter durch den Advent.

Viel Freude und Segen beim Anschauen und Lesen, und einen gesegneten 1. Advent!

Es grüßt ganz herzlich

Christian Vornewald

Einleitung

Zugrunde liegt eine schon sehr alte Darstellung.

Wie immer sind Sie zunächst eingeladen, einfach auf das Bild zu schauen, ohne wissen zu wollen, was es denn darstellt. Nehmen Sie es wahr, alle Details, die sie entdecken. Lassen Sie die Figuren lebendig werden, nehmen Sie Bewegungen auf, die sie wahrnehmen. Lassen Sie das Bild auf sich wirken.

Es ist ein Tympanon aus der Kathedrale von Autun, vermutlich 800 Jahre alt. Es hing wohl mal oberhalb einer Säule im Kirchenschiff. Es erzählt einen Moment aus der Geschichte der Sterndeuter (Mt 2,1-12), der aber so wie auf der Darstellung nicht ausdrücklich in der Bibel überliefert ist.

Erster Impuls

Wir schauen als erstes auf die Gestalt mit den Flügeln. Die Flügel sind ein klarer Hinweis, dass es sich um einen Engel handelt. Engel kommt von Angelus und das bedeutet soviel wie Bote. Es ist ein Bote Gottes.

Wir laden ein, dies als erstes wahrzunehmen in diesem Advent!

Irgendwie ist es unheimlich in diesen Tagen. Jede menschliche Nähe könnte eine zuviel sein. Unsere Mitmenschen, an denen wir uns freuen, sind nun auch eine Gefährdung. Es ist etwas in der Luft, um uns herum, das sich ausbreitet. Du weißt nicht wo, Du weißt nicht bei wem. Wir müssen ständig wachsam sein. Menschliche Berührung ist nur mit ganz wenigen Menschen möglich, wenn überhaupt (wer alleine lebt …). Wen das Virus erreicht, der kann schwer krank werden oder aber auch nicht. So klar das auch ist, dass Nächstenliebe sich im Abstandhalten zeigt und das Achten anderer als Zeichen einen Mund-Nasenschutz hat, so bleibt das doch eine ständige Herauforderung. Man sagt, die intensivste Kontaktnahme zwischen Menschen geschieht über die Haut. Es ist tatsächlich etwas anderes, wenn man sagt, ich habe es gehört oder ich habe es gesehen als wenn man sagt: es hat mich berührt.

Und das ausgerechnet im Advent, wird manch einer sagen. Da geht es doch ganz viel um (Be-)Rührung, mitten in der immer dunkler und kälter werdenden Zeit machen wir es uns gemütlich und schön. Bestimmte Gerüche, Melodien, bestimmte Zeichen und Bräuche gehören dazu und wir werden in den Bann gezogen. Die Schokoladenhersteller mischen etwas Zimt, Kardamon etc. in ihre Produkte und verkaufen es als Weihnachtspralinen …

Eigentlich hat das nichts mit Advent zu tun. Der Advent ist eigentlich eine karge Zeit. Es ist nicht die Zeit der Erfüllung, sondern der Erwartung. Eine dunkle kalte Zeit, aber mitten darin ist eine Sehnsucht: Komm Herr! Früher stellte man ein Licht ins Fenster, wenn man jemand erwartete. Dieses Licht ist der Advent. Der, den wir erwarten, ist noch nicht da. Aber im Warten auf ihn werden wir schon von ihm erreicht. Es ist eine Zeit, die eine Botschaft hat von Gott hat. Ich lasse Euch nicht allein, ich komme zu Euch. Und wir antworten: Ja komm, denn nur Du kannst uns wirklich helfen! Menschen können vielleicht Zeichen sein für Dich, wir sind ja Ebenbild Gottes, wirklich vertrauen ohne ein „aber“, ohne Vorbehalt können wir nur Gott. Genau dieses Vertrauen ist die Einladung des Advents, mitten im Dunkel, mitten in der Kälte. Für dieses Vertrauen steht der Engel, denn ihm kann man vertrauen, er kommt von Gott! Wir nehmen diese Einladung vielleicht gar nicht wirklich ernst, wenn wir Finsternis und Kälte mit allerlei Gemütlichem vorschnell umgehen.

Ganz anders klingen Worte von Alfred Delp, die er 1944 im Gefängnis Plötzensee geschrieben hat. Es sollte sein letzter Advent sein. Am Ende der Weihnachtszeit, dem Lichtmesstag 1945, wurde er hingerichtet. Er hat sie mit gefesselten Händen geschrieben und auf geheimen Wegen aus dem Gefängnis geschmuggelt. Unter der Überschrift „Adventsgestalten“ hat einen Text verfasst mit der Überschrift: Der kündende Engel.

„Den diesjährigen Advent sehe ich so intensiv und ahnungsvoll wie noch nie. Wenn ich in meiner Zelle auf und ab gehe, drei Schritte hin und drei Schritte her, die Hände in Eisen, vor mir das ungewisse Schicksal, dann verstehe ich ganz anders als sonst die alten Verheißungen vom kommenden Herrn, der erlösen und befreien wird. Und immer kommt dabei in die Erinnerung der Engel, den mir vor zwei Jahren zum Advent ein guter Mensch schenkte. Er trug das Spruchband: Freut euch, denn der Herr ist nahe. Den Engel hat die Bombe zerstört. Den guten Menschen hat die Bombe getötet und ich spüre oft, wie er mir Engelsdienste tut. Der Schrecken wäre nicht auszuhalten – wie überhaupt der Schrecken, den uns unsere Erdensituation bereitet, wenn wir sie begreifen -, wenn nicht dieses andere Wissen uns immer wieder ermunterte und aufrichtete, das Wissen von den Verheißungen, die mitten im Schrecken gesprochen werden und gelten.

Und das Wissen von den leisen Engeln der Verkündigung, die ihre Segensbotschaft sprechen in die Not hinein und ihre Saat des Segens ausstreuen, die einmal aufgehen wird mitten in der Nacht. Es sind noch nicht die lauten Engel des Jubels und der Öffentlichkeit und der Erfüllung, die Engel des Advent. Still und unbemerkt kommen sie in die Kammern und vor die Herzen wie damals. Still bringen sie die Fragen Gottes und künden uns die Wunder Gottes, bei dem kein Ding unmöglich.

Der Advent ist trotz allem Ernst eine geborgene Zeit, weil an ihn eine Botschaft erging. Ach, wenn die Menschen einmal nichts mehr wissen von der Botschaft und den Verheißungen, wenn sie nur noch die vier Wände und die Kerkerfenster ihrer grauen Tage erleben und nicht mehr die leisen Sohlen der kündenden Engel vernehmen und ihr raunendes Wort uns die Seele erschüttert und erhebt zugleich, dann ist es geschehen um uns. Dann leben wir verlorene Zeit und sind tot, lange bevor sie uns etwas antun.

An den goldenen Samen Gottes glauben, den die Engel ausgestreut haben und immer noch den offenen Herzen anbieten, das ist das erste, was der Mensch zu seinem Leben tun muss. Und das andere: selbst als kündender Bote durch diese grauen Tage gehen. So viel Mut bedarf der Stärkung, so viel Verzweiflung der Tröstung, so viel Härte der milden Hand und der aufhellenden Deutung, so viel Einsamkeit schreit nach dem befreienden Wort, so viel Verlust und Schmerz sucht einen inneren Sinn. Gottes Boten wissen um den heiligen Samen, den der Herrgott auch in diese geschichtlichen Stunden hineingesät hat. Gläubig harren auf die Fruchtbakeit der schweigenden Erde und die Fülle der kommenden Ernte, das heißt die Welt, diese Welt im Advent verstehen. Gläubig harren: aber nicht mehr, weil wir der Erde trauen oder unserm Stern oder dem Temperament und dem guten Mut; nur noch weil wir die Botschaften Gottes vernommen haben und von seinen kündenden Engeln wissen und selbst einem begegnet sind.“

Lassen Sie die Worte von Alfred Delp auf sich wirken. Sie sind in einer bestimmten Situation entstanden, 1944 im Krieg, im Gefängnis mit gefesselten Händen.

„Den diesjährigen Advent sehe ich so intensiv und ahnungsvoll wie noch nie“, so fängt er an. Wie sehen Sie den eigenen Advent in diesem Jahr? Was könnte intensiv sein? Was könnte Ihnen dabei helfen, „die alten Verheißungen vom kommenden Herrn“ zu verstehen? Den Verheißungen, von denen Alfred Delp sagt: „… von den Verheißungen, die mitten im Schrecken gesprochen werden und gelten.“ Was spricht sie an, was wollen Sie noch einmal lesen, damit es tiefer wirken kann. Bleiben Sie bei dem, was Sie anspricht, wo Sie eine Resonanz in der eigenen Seele wahrnehmen.

Lassen Sie es auf sich wirken!

Zweiter Impuls

Wir laden Sie ein, noch ein wenig bei dem Engel zu verweilen, schauen uns seine Geste näher an.

An den goldenen Samen Gottes glauben, den die Engel ausgestreut haben und immer noch den offenen Herzen anbieten …, schreibt Alfred Delp. Wenn man das Bild vom Samen überträgt, dann kann es sich nur um Begegnung handeln.

– Berührt werden

Auf unserem Bild geschieht eine Berührung.

Wenn man das ganze Bild sieht, dann ist es die Mitte des Bildes.

Wir lassen es auf uns wirken.

Still, wie im verborgenen. „Still und unbemerkt kommen sie in die Kammern und vor die Herzen …“

Der Engel berührt die Hand es ersten Königs. Ganz zart, kaum wahrzunehmen, nur soviel wie nötig ist, um ihn liebevoll zu wecken.

Nicht (nur) zum hören (ich habe es gesehen), nicht (nur) zum sehen (ich habe es gesehen) ist der Engel, sondern er berührt (es hat mich berührt!) diejenigen, zu denen er gesandt ist.

Vielleicht ist das ein ganz eigenes Bild, wenn wir es mit der Erfahrung  so vieler kontaktloser Begegnungen anschauen.

– Geweckt werden

Mit der Berührung weckt er den ersten Schlafenden. Wach auf!

Lassen Sie das Bild auf sich wirken. Sie werden geweckt! Du wirst geweckt!

Nicht unsanft, sondern ganz liebevoll.

Durch eine Berührung von ganz woanders her, durch einen Engel, einem Boten Gottes!

Werde wach!

Dein Schlaf war vielleicht ganz ruhig, aber vielleicht auch voller Angst, albtraumartig. Vielleicht auch: Lass Deinen Corona-Albtraum, es ist nicht dran, Dich davon gefangen nehmen zu lassen. Werde wach, öffne Dich für das, was jetzt dran ist, wenn Du nüchtern und wach auf Deine Welt schaust!

Er würde Dich nicht wecken, wenn es nicht lohnt, wenn es nicht wichtig wäre, wenn er für Dich nicht etwas ganz wichtiges hat!

Immer, wenn Gott etwas von uns will, will er etwas für uns!

Wach werden ist Rückkehr in die Realität.

Du wirst geweckt in die Realität Gottes. Werde wach, lass Dich neu auf ihn ein.

Jede Begegnung mit Gott ist zum ersten Mal, denn er ist der ganz Andere, der, der immer je neu ist.

Dritter Impuls

Auf diejenigen, die geweckt werden, wollen wir ebenfalls schauen.

Es sind drei Personen, die sozusagen unter einer Decke liegen. Der Engel berührt den ersten. Er hat auch schon die Augen geöffnet. Was ist mit den anderen Beiden? Wird der Engel zu Ihnen übergreifen? Oder werden sie von dem berührt, der berührt ist, so dass so etwas wie eine Kettenreaktion geschieht? Wenn er durch die Berührung des Engels erfüllt ist vom Geist Gottes, dann gibt es vom einen zum anderen keine Abschwächung der Botschaft, der Kraft und der Wirkung. Wer berührt ist, wird, was wir schon alle seit der Schöpfung sind: Ebenbild Gottes, sein Bote! Wir werden zu uns selber erlöst, durch das Berührtsein durch Gott, durch sein Du, dem wir darin begegnen, werden wir zum Ich (Traditio heißt Übergabe: Das ist das, was man theologisch Tradition nennt). Vielleicht ist das die Botschaft der Kronen, die alle drei tragen.

Wer von den dreien bist Du?

Schon wach? Oder noch in tiefem Schlaf? Vorne dran, oder ganz hinten?

Wer, was könnte Dich wecken? Nein, die Frage ist müßig. Denn wenn es auch durch einen anderen Menschen ist, es kommt aus der Unverfügbarkeit und der Unmittelbarkeit Gottes, Du wirst es sehen und es wird sich auswirken, aber über das Was, Wie und Wo hast Du keine Verfügung.

Durch das Wachwerden werden wir zu Boten!

Alfred Delp schreibt:

„Selbst als kündender Bote durch diese grauen Tage gehen. So viel mut bedarf der Stärkung, so viel Verzweiflung der Tröstung, so viel Härte der milden Hand und der aufhellenden Deutung, so viel Einsamkeit schreit nach dem befreienden Wort, so viel Verlust und Schmerz sucht einen inneren Sinn. Gottes Boten wissen um den Segen, den der Herrgott auch in diese geschichtlichen Stunden hineingesät hat.“

Vierter Impuls

Der Engel hat eine zweite Hand, einen zweiten Finger. Mit der einen Hand berührt und weckt er, mit der anderen gibt er einen Hinweis. Wie ein Wegweiser.

So als wollte er sagen: Seht, es ist ein Stern aufgegangen! Jetzt ist nicht Zeit zu schlafen. Wer ihn nicht entdeckt, der verschläft das Leben. Steht auf, macht euch auf den Weg. Lasst euch von ihm führen.

Wenn wir auf den Stern schauen und sein Licht in unsere Seele strahlt, dann können wir seine scht Strahlen sehen. Das erweist den Stern als Christusstern. Denn am achten Tag, am Tag nach dem siebten Tag, ist Christus auferstanden. Und die Neuschöpfung von Himmel und Erde nimmt seinen Anfang. „Seht, ich mache alles neu!“, sagt Gott in der großen Vision des Johannes im vorletzten Kapitel des letzten Buches der Bibel (Offb. 21,5)

Wer so auf den Stern schaut, dem weckt es die Sehnsucht: Wie wäre das, wenn alles neu würde …

Auf dem Bild ist der Stern direkt über dem Kopf des ersten Königs. Ganz nahe bei ihm! Wie ein Segen über ihm! Es ist kein äußerliches Licht, ganz aus der Ferne, sondern es kommt zu uns: Der Herr ist nahe!

Schon im Psalm heißt es: Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade. Seine Worte aber müssen wir in uns einlassen, müssen ihnen vertrauen. Sie werden zur inneren Stimme, die uns leitet. Das Licht leuchtet in uns, „intimo intimeor meo“ „näher als wir uns selber nahe“ sind, sagt Augustinus.

Es ist ein Paradox. So unendlich nahe, und doch verlieren wir das Licht, wenn wir ihm nicht folgen. Und doch führt es uns auf einen weiten Weg durch die dunklen Tage dieses Advents. Vielleicht haben wir in diesem Jahr ja mehr Zeit und Ruhe, das Lichtwort zu hören, es aufzunehmen. Es führt uns zu dem Ort, wo Christus geboren ist, wo das Wort Fleisch geworden ist. Durch das Folgen des inneren Wortes wird das Wort in uns Fleisch, werden wir wie er: Licht vom Licht!