Predigt zum Dritten Advent 2020
von unserem Pfarrer Vornewald
Eigentlich sollte es, als ich anfing die Predigt aufzuschreiben, um Freude gehen. Schließlich ist heute der 3. Advent und der heißt Gaudete, zu deutsch: Freut Euch. Das ist der Anfang des Eröffnungsverses der heutigen Liturgie: Freut euch im Herrn zu jeder Zeit. Noch einmal sage ich euch: Freut euch! Denn der Herr ist nahe. Doch dann kamen heute morgen die Zahlen der neu Angesteckten und der Verstorbenen mit und an der Corona-Infektion. Und mit den sehr hohen Zahlen an Infizierten und Verstorbenen auch die Kommentare der Politiker, dass Weihnachten wohl im völligen Lockdown zu verbingen ist. Ich ahbe mir ausgemalt, was das für manche bedeutet … Und dann kam der Anruf, dass die evangelische Gemeinde in unserer Stadt beschlossen hat, am heiligen Abend in diesem Jahr keinen Gottesdienst zu feiern. Also fällt auch der kurze, prägnante Gottesdienstauf dem Marktplatz am Nachmittag aus. Ich hatte mich so darauf gefreut, das Weihnachtsevangelium vom Balkon unseres Rathauses zu verkündigen. Anschließend sollte allen Leuten das Friedenslicht von Bethlehem übergeben werden, dass sie es mit nach Hause nehmen! Natürlich ist es angesichts des Leids und der Trauer so vieler Menschen unter uns nicht von Belang, dass sich mein Wunsch nach einem irgendwie liturgischen Höhepunkt erfüllt. Aber wenn das Weihnachtsevangelium nicht mehr verkündet wird, weil es einem wie ein Kloß im Hals steckenbleibt? Und es an Weihnachten leer ist und stumm? Was ist das für eine Zeit, in der wir leben? Statt ihn voller Freude wie es im Gebet heißt „mit Liedern des Lobes zu empfangen“, ist einem eher nach der Frage: Wo bist du, Gott? Hast du uns verlassen? Natürlich, bei uns ist das immer noch Stöhnen auf gebetteten Kissen, aber man muss gar nicht weit gehen, nur einige Länder weiter, dann klingt es noch ganz anders. Und während ich dies aufschreibe, wird der Bruder eines Freundes beigesetzt. Aber mir ist was aufgefallen: Sowohl im Eröffnungsvers der Messe aus dem Philipperbrief alsauch im ersten Satz der zweiten Lesung zum 3. Advent heißt es: Freut euch zu jeder Zeit! Zu jeder Zeit? Dieses zu jeder Zeit macht mich stutzig. Kann man das getrost beiseite legen? Naja, ist nicht so gemeint, oder ist darin ein Punkt, der vielleicht sogar gerade jetzt von Bedeutung sein könnte? „Betet ohne Unterlass!“, so geht es in der Lesung weiter. Im Eröffnungsvers der Messe wird als Begründung der Aufforderung zur Freude genannt: „Denn der Herr ist nahe!“ Im heutigen Evangelium wird das Zeugnis des Johannes verkündet, wie es im ersten Kapitel des Johannesevangelums überliefert ist. Und zwar so, dass die ersten Verse ganz zu Beginn des Evangeliums im sogenannten Prolog stehen, dann wird ein größeres Stückweggelassen, um dann fortzufahren mit dem Bericht über das Auftreten des Täufers Johannes.Den Text zwischen diesen beiden Passagen, die da heute zusammengenommen sind, werden wir im großen Weihnachtshochamt hören. Wir sind also auch, was den Abstand zur Weihnachtsbotschaft im Text angeht, schon ganz nahe. Es ist also tatsächlich die Botschaft des dritten Advents: der Herr ist nahe. Im Zentrum des Zwischentextes, den wir heute noch nicht hören, stehen die unglaublichen Worte: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt!“ Vielleicht ist es ja in diesem Jahr so, dass wir stumm bleiben, dass die Worte der Weihnachtsbotschaft nicht zu hören sein werden, aber: „Das Wort wird Fleisch!“ Und kehrt bei uns ein, und ist uns jetzt schon nahe. Es macht unsere Distanz aus Rücksicht zu einem Geheimnis der Gegenwart Gottes. Indem wir die Oma nicht besuchen, schenken wir ihrunsere Liebe, kehrt er bei uns ein. Bis dahin: indem Menschen die traurige Situation teilen, dass jemand an ihrem Tisch fehlt, der im letzten Jahr noch dabei war, sind sie miteinander verbunden: Was wir lieben, ist geblieben, bleibt in Ewigkeit!, war ein Lieblingssatz meiner Großmutter. Der Sonntag Gaudete ist so gesehen keine Aufforderung zur Verdrängung, zum Beiseiteschieben und Überlächeln der Realität, sondern die Einladung, uns auf die Liebe einzulassen, die uns verheißen ist, uns einzulassen auf das Wort, das Fleisch wird, das heißt, real wird. Und, das ist ganz wichtig, uns auf sie zu freuen. Wer liebt, läuft nicht weg vor der Realität, sondern hält sie aus, ja wird stumm, wenn es keine Worte mehr gibt. Könnte es sein, dass wir hier auf Gott stoßen? Die Freude liegt also nicht darin, dass alles perfekt und so wird,wie wir es erwartet haben, dass sich die Wünsche alle erfüllen. Natürlich, darin kann sie sich zeigen, weil wir es mit Liebe gestalten, aber die Freude gründet tiefer. Vielleicht kann man über die Weihnachtstraditionen, über die Geschenke, die Begegnungen, so sprechen, wie im Evangelium über Johannes geredet wird: er war selbst nicht das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das Zeugnis für das Licht kann sich verändern, die Verheißung des Lichtes bleibt dieselbe. Wobei wir das Weihnachtsfest, wie wir es all die Jahre gefeiert haben,nicht zu sehr glorifizieren sollten: Für viele war schon lange mehr Frust als Lust, das Hetzen durch die Geschäfte vorher (ab Dienstag sind sie vielleicht schon zu, die armen mitarbeiter von Amazon …) die unaufgearbeiteten Konflikte kommen spätestens am zweiten Tag hoch, wenn die Familie zusammenhockt, die Besuche bei Verwandten sind nicht nur reine Freude, und wie viele sind geflüchtet vor diesen Tagen, auf die Malediven, nach Malle, die Canaren oder sonst wohin. Vielleicht ist es sogar eine Erleichterung, dass man in diesem Jahr zu manchem sagen muss oder kann: Geht leider nicht. Dennoch ist es auch für viele enttäuschend, und manche Situation sehr leidvoll, die sich abzeichnet. Wenn es um die Realität geht, die wir aus Liebe mittragen, dann könnte das Phantasie wecken. Und ein Suchen öffnen, wie wir doch zueinander finden. Vielleicht öffnet sich dabei etwas und viel weniger wird viel mehr.Vielleicht ist es von großer Bedeutung, wie wir diese Tage des Advent leben, damit sich das Geheimnis der Weihnacht uns erschließt. Noch ist der Herr nicht da, aber er ist nahe. Wenn ich mich nicht auf ihn freue, warte ich dann überhaupt, erwarte ich dann überhaupt etwas von ihm? Der Advent ist eine Zeit im Dunkel, ja, aber er ist eine geborgene Zeit. Und das hat mit der Verheißung zu tun, ich komme zu Euch! War am ersten Advent zunächst mal der Ruf: Seid wachsam, Ihr müsst mit mir rechnen, war es am zweiten Advent die Aufforderung: Bereitet ihm den Weg!, so ist es heute: Freut euch auf ihn, denn er ist schon nahe. Das hat etwas mit der Grundsubstanz zu tun. Was wäre das für ein Rechnen mit ihm, was wäre das fürein Wegbereiten, wenn es ohne Freude wäre? Freude ist so etwas wie der innere Motor des Ganzen, sie ist die Empathie! Das ist etwas, wo wir an Grenzen stoßen, denn Freude kann man nicht machen, nicht herstellen, und doch ist ohne sie nichts. Ich habe mir überlegt, dass der beste Gastgeber derjenige ist, der sich auf und über seinen Gast freut. Er hat auch am meisten von dem, der ihn besucht. Wir sind eingeladen, uns zu auf ihn zu freuen. Das ist wie ein Stern, der im Dunkel schon das Licht widerstrahlt, das dann als Sonne aufgehen wird. Wirsind eingeladen, nicht in das Dunkel zu starren, sondern aufzublicken zu diesem Stern! Und uns an ihm zu freuen!