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Predigt am Karfreitag 2020

Liebe führte ihn in die Quarantäne, und uns zusammen

Was ist wirklich wichtig? Worum geht es im eigenen Leben? Solche Fragen tauchen oft auf, wenn sich Gewohnheiten ändern, wenn das Leben anders wird, wenn alles nicht mehr so ist wie es war. Das ist vor allem dann so, wenn Sicherheiten wegrutschen, wenn ungewohntes, bedrohliches nicht mehr ganz weit weg erscheint. Ich spüre das bei mir in diesen Tagen. Es kommen mir grundlegende Fragen in den Sinn. Ich habe mich an einen Satz von Dietrich Bonhoeffer erinnert. Er hat gemeint: Die wichtigste Frage für jeden Menschen ist: Wer ist Jesus Christus? Er hatte bewusst gesagt: für jeden Menschen. Denn auch wenn jemand überhaupt nichts mit ihm zu tun hat von sich her, so glauben wir doch, dass er von Gott durch ihn unendlich geliebt ist; von dem Gott, der durch das, was wir Gewissen nennen, zu jedem Menschen spricht.

Wer ist Jesus Christus? Diese Frage möchte ich zunächst an das Markusevangelium stellen, an das erste Kapitel. Denn da wird Jesus vorgestellt mit sehr prägnanten Erzählungen. Eine davon hat einen starken Bezug zu dem, was uns in diesen Tagen umtreibt (Mk. 1,40-45). Es wird erzählt, dass ein Aussätziger zu ihm kommt. Aussätzige mussten in strenger Quarantäne leben, konnten sich nur außerhalb der Orte aufhalten und durften mit niemand Kontakt haben. Wenn sie sich jemand näherten, dann mussten sie schreien: Aussatz, Aussatz. Nur durch solche drastischen oft grausamen Maßnahmen schaffte man es, diese schreckliche Epidemie einzudämmen. Der Ausssätzige bat Jesus um Hilfe: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen! Jesus hatte Mitleid mit ihm, streckte die Hand aus, berührte den Mann und sagte: Ich will es, werde rein! Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein.“ Mk. 1, 40f) Jesus weist ihn dann an, sich dem Priester zu zeigen. Denn die Priester waren diejenigen, die beurteilen mussten, ob jemand geheilt war und wieder mit den Anderen leben zusammen kann.

Ich weiß, dass man diese Geschichte durchaus missverstehen kann (wie von einigen Freikirchlern oder Orthodoxen in diesen Tagen). Aber es soll Jesus nicht als Wunderheiler vorgestellt werden mit übernatürlichen Kräften, es geht um ein Gleichnis für die Erfahrung, die Menschen mit ihm gemacht haben. Ich stelle mir das so vor: Wenn ein Mensch wirkliche Liebe erfährt, dann ist das keine Kopfsache, sondern eine Erfahrung, die alle Fasern seines Daseins berührt, was in ihm eine Freude auslöst, ein Glück, das ihn aufrichtet, zum Positiven verwandelt und ihn heilt. Die Liebe heilt, aus dem Berührtsein tief innen in der Seele, der Herzmitte der Person. Jesus, das ist vollmächtige Liebe. Wenn Menschen von ihm berührt werden, dann beginnt etwas ganz neues. Und was den Aussätzigen betrifft, der nun wieder bei den anderen Menschen leben kann: diese Liebe führt auch in eine neue Beziehung zu den Mitmenschen.

Der Evangelist Markus erzählt aber noch weiter. Obwohl es ihm verboten war, erzählt der Mann überall von dem, was Jesus getan hat. Das hat zur Folge, dass Jesus selber in Quarantäne gehen muss: „Er konnte sich in keiner Stadt mehr zeigen, er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf.“

Damit ist in Kürze das ganze Leben von Jesus erzählt. Er ist von Gott gekommen, um die Menschen mit einer Liebe zu berühren, die die einzelnen verändert und verwandelt zu neuen Menschen und die Beziehungen untereinander heilt und reinigt, zu einer wirklichen Gemeinschaft. Ja, er hat geradezu eine Ansteckung losgetreten, zur Liebe und zum Frieden, das Berührt- und Bewegtsein von dieser Liebe geht weiter von Person zu Person. Seine Grundoption ist das Reich Gottes, dass sich ausbreitet! Dabei wird klar, dass er Menschen nicht verführt, etwa mit Gehirnwäsche, es geht um die Freiheit der Kinder Gottes, darum, dass Menschen aus demselben freien Bezug zu Gott, seinem Vater, leben können wie er.

Und er selbst? Je weiter die Entwicklung geht, desto mehr klinkt er sich aus, muss er in Quarantäne. D.h., er wird ausgeklinkt von anderen, die sich von dieser Liebe bedroht fühlen, weil sie aufdeckt und Menschen ihrer Kontrolle entgleiten. von der sie meinten, Gott habe sie ihnen gegeben. Mit allen Mitteln muss darum das, was da begonnen hat, unterbunden werden: Der Hohepriester formuliert es so: Es ist besser, dass ein Mensch stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht! Was sich so zuspitzt, das durchzieht schon das ganze Evangelium. Im Markusevangelium beginnt die Auseinandersetzung schon in der nächsten Erzählung, also Anfang des zweiten Kapitels.

Daraus wächst im Lauf des Evangeliums noch etwas: Wegen seines Umgangs mit den Menschen, wegen seiner Weise, in Worten und Begegnungen Gott nahe zu bringen, wird er angefeindet. Der Gott, von dem seine Freunde später sagen werden: „Gott ist Liebe“. Er lässt sich von dieser seiner Sendung nicht abbringen. Er trägt sie durch, allem Widerstand zum Trotz. Dieses sich nicht Beugen wird so ein Teil seiner Zuwendung, und seine Qarantäne Ausdruck seiner Liebe! Auch dies entwickelt sich immer weiter. Er nimmt das Schwere auf sich, um die anderen zu befreien. Und wenn es dabei um Befreiung vom Bösen geht, genau das vermag ja nur Liebe, dann bedeutet es Versöhnung, mit Gott und untereinander. Er ist für uns zur Sünde geworden, wird der Apostel Paulus seine Quarantäne beschreiben. Tatsächlich gestaltet sich sein Tod als Weg in fürchterliche Einsamkeit, er stirbt den Verbrechertod am Kreuz außerhalb der Stadtmauern. Und auch alle Freunde lassen ihn im Stich.

Und dennoch, mitten darin bricht noch einmal etwas auf, erweist seine Liebe ihre Kraft. Der Evangelist Johannes erzählt: „Bei dem Kreuz standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: ‚Frau, siehe, Dein Sohn!’ Dann sagte er zu dem Jünger: ‚Siehe, Deine Mutter!’ Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“

Er fügt die Beiden zusammen, sorgt so für seine Mutter. Aber indem er hier „Frau“ sagt, werden hier auch noch die ganz ursprünglichen letzten Verbindungen zerschnitten, die zu seiner Mutter und zu seinem Freund. Aber die Beiden finden zueinander auf eine neue Weise. Wie sie wohl miteinander umgegangen sind? Als Jesus einen Moment später stirbt, heißt es: „Jesus sprach: Es ist vollbracht! Und er neigte sein Haupt und übergab den Geist.“ Er hat das Leben ausgehaucht und zugleich darin übergeben. Seinen Geist, den Heiligen Geist! Maria und dieser Jünger, sie seien die Urzelle der Kirche, so haben das die Christen der ersten Jahrhunderte verstanden. Wo dies auf den Weg gebracht wurde, ist sein Werk vollbracht, die Neuschöpfung von Himmel und Erde hat begonnen. Sie haben einander angenommen, wie er sie angenommen hat. Er hat sich entzogen, ist in der letzten Verlassenheit versunken und hat genau darin alles geschenkt. Einmal ist ganz bis zum Ende, zur Vollendung geliebt worden. Er ist gestorben, damit wir leben. Wenn dies der Anfang der Kirche ist, dann ist in jeder vom Geist übergebenen Gemeinschaft etwas von diesem Anfang. Dann wird neu diese Liebe lebendig. Wir werden darin verbunden und es ist wie am Anfang: Wie sie wohl miteinander umgehen? Seht, wie sie einander lieben! Daran soll man uns erkennen. Wenn so tatsächlich Himmel und Erde neu geschaffen werden, dann geht es aber nicht um die Kirche, sondern um alles, die Kirche ist nur so etwas wie der Durchlass, dass dieser Anfang überall hingelangen kann, zu allen Menschen. Der Geist weht, wo er will!

Ich denke, man kann noch etwas hinzufügen: Diejenigen, die diese Liebe empfangen haben, werden es zulassen, wenn sie selber in so etwas wie Quarantäne kommen, wenn sie darum etwas ertragen müssen, bis hin zu Einsamkeit. Auch da werden sie ihn finden! Vielleicht können wir unsere derzeitige Situation in diesem Licht sehen. Einige Male wurden diese Tage mit dem Karfreitag verglichen. Für die, die glauben, ist es ein Karfreitag, wo wir voneinander Abstand halten, weil wir uns nahe sind, wo wir einsam werden, weil wir einander lieben!