Herzlich Willkommen

Predigt zum 06.06.2021

von unserem Pfarrer Christian Vornewald

Hier können Sie sich die Predigt anhören

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas

In jener Zeit,

als viele Menschen Jesus begleiteten; wandte er sich an sie und sagte:

Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.

Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.

Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen?

Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertig stellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten

und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.

Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt?

Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden.

Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.

Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zum Festtag des heiligen Norbert

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Das hat eingeschlagen! Reinhard Kardinal Marx hat seinen Rücktritt als Erzbischof von München angeboten. Es geht nicht um Personen, um Ämter, hat er gesagt, das Ansehen des Bischofsamtes sei nach seiner Beobachtung gesunken, vermutlich auf einem Tiefpunkt angelangt. Er wollte ein Zeichen setzen. Ihn hat die Frage umgetrieben, wer denn für die Verbrechen des Missbrauchs und ihrer Vertuschung Verantwortung übernimmt. Ausdrücklich hat er die MHD Studie erwähnt, die von der Bischofskonferenz beauftragt wurde und massiven Missbrauch durch Geistliche zu Tage brachte, in einem Ausmaß, wo wohl nicht nur ich mich tief erschrocken habe. Ich weiß noch, als ich die Livepressekonferenz verfolgt habe, wo die erforschten Geschehnisse von einem Professor in aller Deutlichkeit dargestellt wurden, habe ich mich so geschämt. Und irgendwann habe ich beim Zuhören den starken Impuls gespürt: jetzt musst du gehen, eine solche Truppe oder wie man das Gebilde katholische Kirche nennen soll darf nicht aufrecht erhalten werden. Sie hat kein Recht mehr, weiter zu existieren. Ich wollte jedenfalls nicht mehr dazu gehören. Ich habe einige Male darüber geschlafen und mir wurden andere Schichten deutlich, meine übernommene Verantwortung für konkrete Menschen, meine eigenen so anderen Erfahrungen im Lebensraum der Kirche. Aber es bleibt etwas, was in mir arbeitet. Als ich am Freitag Reinhard Marx bei seiner Pressekonferenz zugehört habe, kam das alles wieder hoch. Ja, es ist schlimm: Je größer der Anspruch und je schöner das Anliegen ist, desto mehr geht verloren, wenn es einen solchen Abgrund vom Anliegen zur Wirklichkeit gibt. Der Anspruch ist zerstört und mit dem Anspruch geht moralischer Halt und Gewissensspruch der und des einzelnen verloren. Sollte kirchliche Erziehung nicht dazu führen, empathiefähig zu werden? Was geht in mir vor, wenn ich mich in die Kinder einfühle, um die es geht und versuche zu verstehen, wie ihr Leben weiter verläuft. Und diejenigen, die immer einen Grund wissen, zu sagen, „Siehste, ich sag es dir doch“ behalten mal wieder recht. Wenn ich als Pfarrer nicht mit Jesus und seinem Evangelium in Verbindung gebracht werde in der Sicht meiner Mitmenschen, sondern eher als potentieller Kinderschänder gesehen werde, dann ist es vielleicht tatsächlich besser, wenn es solche Leute wie mich nicht mehr gibt. Verlogen ist noch eine harmlose Formulierung, für das, was uns entgegenschlägt. Mit uns meine ich jetzt nicht nur die Bischöfe, die Priester, sondern auch die katholische Kirche im Ganzen, also Sie/Ihr und mich gemeinsam. Der angebotene Rücktritt von Kardinal Marx als Übernahme von Verantwortung ist ein starkes Zeichen dafür, wie groß und beschämend die Diskrepanz ist. Dies hätte nie möglich sein dürfen in unserer Kirche. Und das ist nicht nur schwere Schuld einzelner, sondern hat auch systemische Ursachen. Das hat Kardinal Marx hervorgehoben.

Das löst viele bedrängende Fragen aus, auch an uns. Worum ging es und geht es uns im kirchlichen Leben? Um Beheimatung, eine Art heile Welt, geht es um das Evangelium zwischen uns, um Jesus? Darum, dass wir glauben, dass es unserem Gott um das Wohl jedes einzelnen Menschen geht, ganz gleich, welche Herkunft und Geschichte jemand hat, ob er oder sie nach kirchlichem Maß glaubt oder so oder so lebt? Worüber wird gesprochen hinter der Kirche? Gibt es unter uns ein Bewusstsein dafür, dass wir Boten und Zeugen für einen Gott sind, der jedem Menschen sagen will: Ich will, dass Du lebst! Und wenn wir in die Vergangenheit gucken: Welche Rolle hatte der Pfarrer? Ich glaube nicht, dass man mir geglaubt hätte, wenn ich als Junge in irgendeiner Weise etwas angedeutet hätte, was auf ein übergriffiges Verhalten eines Priesters hinweisen sollte. War das vielleicht auch deshalb so, weil es nicht in unser Weltbild gepasst hätte, wo wir, die Katholiken die Guten waren und es doch auch Tendenzen gab, auf andere herabzusehen. Da fühlte man sich gut, und da soll so ein Rotzlümmel nicht das Bild zerstören. Vielleicht ist sowas mit systemischen Ursachen gemeint von schwerster Todsünde im Herzen der Kirche. Wer jetzt denkt, da übertreibt er aber, der hat sich nicht eingefühlt in das, was da Menschen angetan wurde.

Wir im Bistum Magdeburg begehen heute einen wichtigen Festtag. Heute feiern wir unseren ersten Bistumspatron, den heiligen Norbert. Er war von 1226 an acht Jahre lang Erzbischof von Magdeburg. Man kann seine Wirkung vielleicht so zusammenfassen, dass er das System gestört hat. Und zwar aus tiefer Ehrfurcht und Liebe zum Evangelium. Norbert gehörte zu denen, die die Worte Jesu unmittelbar und bedingungslos ernst genommen haben. Das begann schon, wie er in Magdeburg ankam. Man wollte ihn ehrenhaft empfangen, hatte sich aufgestellt, aber als da ein Mann barfuß in Bettlerkutte kam, da hat keiner gemerkt, dass das der neue Erzbischof ist. Man hätte es wissen können, denn er war längere Zeit als Wanderprediger durch halb Europa gezogen, hatte Reformen angemahnt und immer wieder mit deutlichen Worten Missstände in der Kirche angeprangert. Dann hatte er als Einsiedler gelebt, ehe er in Premontre in Frankreich einen Orden gründete, um dem Gottesreich auf diese Weise Raum zu geben. Auch als Erzbischof machte da er weiter, er trat auf als unerbittlicher Reformer. Dabei stellte er die etablierte Besitzordnung der Kirche in Frage und zog sich dabei den Zorn der adligen Domherren zu. Aber auch beim Volk war der neue Bischof wegen seiner Sittenstrenge nicht sonderlich beliebt. Man plante Anschläge, es wurde offen revoltiert. Norbert war unbequem. Aber als er nach acht Jahren starb, konnte man im Rückblick erkennen, dass es eine tiefgreifende Erneuerung für das Erzbistum Magdeburg gegeben hatte. So wie er war, war Norbert zum Segen geworden.

Ob er auch uns weiterhelfen kann? Er hatte keine Rücksicht auf vorhandene Systeme genommen, es war ihm wohl mehr oder weniger egal, was da geredet wird und wie man sich machtvoll gebärdet und Druck macht. Sein Maß war das Evangelium. Die Worte, die uns an seinem Fest als Evangelium gegeben sind, weil sie sein Charisma und seinen Impuls besonders herausarbeiten, stellen uns eine Frage: Wollt Ihr seine Jünger werden? Es beginnt damit, dass berichtet wird, dass viele Menschen Jesus begleiteten. Damit stoßen wir auf eine gewaltige systemische Sünde im kirchlichen Leben der Vergangenheit: Ging es darum, Menschen in die Nachfolge Jesu zu führen und sie seiner Führung anzuvertrauen, wo sie zu eigenständigen Personen wachsen konnten oder ging es darum, dass die Menschen parierten und gehorchten und nicht auffielen, was bedeutete, dass sie ihre Persönlichkeit nie entfalten konnten? Wo es als gut und heilig erschien, wenn man zum Mitläufer wurde? Haben wir das schon überwunden in unseren innerkirchlichen Denkweisen und Reden? Jesus will keine Mitläufer, er will auch nichts Massenkompatives, er will nicht, dass Menschen sich verbiegen oder verbogen werden. Er will, dass jede und jeder einzelne sich frei und konsequent dafür entscheidet, seine Jüngerin, sein Jünger zu werden, mit allen Konsequenzen. Es reicht dann eben auch nicht, eine irgendwie geartete Familientradition fortzuführen, wo man vielleicht sogar deshalb kirchlich ist, weil man zu träge und feige war, sich dem Druck zu entziehen, der da unter dem Kessel ist, Familienkessel oder Gemeindekessel! Wer Vater und Mutter, Frau und Kinder … mehr liebt als mich …, kann nicht mein Jünger sein. Wir werden herausgefordert, uns gut zu überlegen, ob wir wirklich seine Jüngerinnen und Jünger werden wollen, denn sonst wird es peinlich, wird es schlimm enden: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Hätte es solche Sünde in der Kirche gegeben, wenn dort Jünger Jesu gewesen wären? Und wohin hat es geführt? Das meint doch wohl Reinhard Marx, wenn er davon spricht, die Kirche sei an einem toten Punkt angekommen. Wir haben allen Grund, den heiligen Norbert zu bitten, dass er für uns bei Gott eintritt, dass wir werden, was wir sind, Kirche. Kirche kommt vom griechischen Wort Kyriake, das heißt rückübersetzt, zum Kyrios, zum Herrn gehörig.

Ich muss mich bei Ihnen/bei Euch endschuldigen, denn ich bin in eine andere systemische Falle getappt. Eigentlich sollte es heute in der Verkündigung um die Menschen in unserem Land gehen, was wir alle miteinander brauchen in unserem Bundesland Sachsen-Anhalt, schließlich wird heute ein neuer Landtag gewählt. So haben wir uns wieder mal um uns selber gedreht, vielleicht aber auch hoffentlich um den Willen Gottes und darum, wie wir lebendiges Zeichen für unseren Gott neu werden, so dass sich das Evangelium übersetzen kann in unsere Zeit, in unsere Umgebung, in unser Land. Norbert hat das in seiner Zeit versucht. Hören wir ihn selber: Ich war bei Hofe, ich war im Kloster, ich stand in kirchlichen Würden; und überall machte ich die Erfahrungen, dass es nichts besseres gibt, als ganz auf Gott gerichtet zu sein.