Herzlich Willkommen

Predigt Pfingsten 2021

von unserem Pfarrer Christian Vornewald

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes.

Am Abend des ersten Tages der Woche,

als die Jünger aus Furcht vor den Juden

bei verschlossenen Türen beisammen waren,

kam Jesus,

trat in ihre Mitte

und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!

Nach diesen Worten

zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite.

Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.

Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch!

Wie mich der Vater gesandt hat,

so sende ich euch.

Nachdem er das gesagt hatte,

hauchte er sie an

und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!

Denen ihr die Sünden erlasst,

denen sind sie erlassen;

denen ihr sie behaltet,

sind sie behalten.

Evangelium unseres Herrn Jesus Christus

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Die Inzidenzzahlen gehen runter, immer mehr von uns sind oder werden hoffentlich bald geimpft, wir treffen uns heute auch zum erstenmal nach langer Zeit ohne Begrenzung, auch wenn das daran liegt, dass wir im Freien unseren Festgottesdienst feiern. Es kann aber auch ein Anzeichen sein, dass wir zur Normalität zurückkehren, dass hoffentlich bald das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen unseres Lebens Vergangenheit sein können. Das wäre schön! Endlich wieder sich menschlich nahe sein, Freunde, ja Familienmitglieder, z.B. die Oma oder die eigenen Enkel ohne Bedenken in den Arm nehmen, sich treffen, miteinander erzählen, das Bierchen oder den Kaffee miteinander trinken an einem Tisch … und auch der Tisch in meiner Küche wäre nach langer Zeit wieder mal voll … Wenn selbst Karl Lauterbach sagt: Wir bekommen einen tollen Sommer!

Es gibt vielleicht keinen schöneren Tag als das Pfingstfest, um das zu feiern: Sende aus Deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu! So lautet der alte Ruf. Im Johannesevangelium wird das Empfangen des Geistes mit einer drastischen Geste dokumentiert: Es heißt, dass Jesus die Jünger anhauchte! Also so wie es Gott tat, als aus einem Klumpen Lehm ein lebendiger Mensch wurde. Es ist noch nicht so weit, aber es ist in Sicht gekommen, dass die Begrenzungen ein Ende finden und wir wieder frei und selbstbestimmt unser Leben leben können, ohne einander zur Gefährdung zu werden! Das wäre, das ist einfach nur schön! Und diese bedrückende, schwierige Zeit hinter uns lassen! Das fühlt sich an wie neugeboren. Ich weiß natürlich nicht, ob es so kommt, es gibt auch skeptische Stimmen. Und es ist nach wie vor nötig, vorsichtig zu sein, noch ist die Ansteckungsgefahr nicht gebannt. Es wäre schlimm, wenn auch durch das Verhalten von Menschen, die geimpft sind, eine Atmosphäre sich ausbreitet, die für andere gefährlich sein kann. 

Doch die Perspektive tut so gut, dass es hoffentlich auf den letzten Metern sogar einfach wird, konsequent weiter zu machen, die Übertragung des Virus auszutrocknen.

Darf ich, ohne irgendeinen Schluck Wasser in den bereitstehenden Sekt zu gießen, auf etwas aufmerksam machen? Das Gebet zu Pfingsten lautet nicht: ‚Sende aus deinen Geist, damit alles wieder so wird, wie es war‘, sondern wir beten: “Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!“ Das Antlitz der Erde wird neu! Das ist die große Chance, die wir jetzt haben. Ich möchte nicht, dass wir wieder so weitermachen, wie wir vor dem Ausbruch der Pandemie gelebt haben. Das würde bedeuten, dass wir vieles, was wir in dieser Zeit in der Pandemie neu entdeckt und gelernt haben, wieder vergessen. Dann wäre über ein Jahr unseres Lebens ungelebte Zeit. Ich möchte auf vieles, was wir erfahren durften in dieser Zeit nicht verzichten. 

Ganz einfache Dinge: Irgendwann im letzten Jahr im Frühjahr habe ich mit Erschrecken wahrgenommen, dass ich über eine Woche lang gelebt hatte ohne Körperkontakt. Ich hatte immer allein gegessen. Das war richtig schwer. Ich habe im Verlust neu wahrgenommen, wie wichtig Körperkontakt ist, ganz schlicht menschliche Nähe, wie wir das brauchen, um Mensch zu sein. Kein Fernsehen, kein Skypen kann es ersetzen! Wenn das nun wieder möglich wird, dann möchte ich es als Geschenk bewusst leben, und meine Bedürftigkeit gegenüber den anderen Menschen als einen Teil meiner Nächstenliebe wahrnehmen. Es ist aber nur dann ein Geschenk, wenn die Gesten ehrlich sind, wenn wir uns wirklich nahe sind. Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!

Hier könnte ein Einfallstor sein für einen veränderten Lebensstil: Was ist das Küsschen der Oma wert, wenn sie nicht bereit ist, so zu leben, dass sie ihre Ansprüche zurückschraubt, damit der Enkel eine gute Zukunft hat. Und muss der Enkel wirklich unbedingt auf die Balearen? Ist es bei Oma auf dem Balkon nicht viel schöner? Hoffentlich ist die Luft gut, damit der Enkel nicht noch mehr Allergien bekommt! Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!

Etwas anderes habe ich aber auch wahrgenommen: Wenn ich den Verzicht bewusst leiste: Ich halte jetzt Abstand von Dir, weil Du mir wichtig bist, dann kann das auch eine Weise von innerer Erfüllung bedeuten, und wirklicher menschlicher Nähe. Das hat es mir leichter gemacht, in der Kirche auf Sie zu schauen, die alle Masken tragen. Distanz halten kann wirkliche menschliche Nähe bedeuten! Aus beidem können wir lernen, gut und liebevoll miteinander umzugehen. Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!

Der Mangel an menschlicher Nähe hat auch die Gewichte verschoben: Was ist mir wirklich wichtig, was macht glücklich und erfüllt? Was brauche ich, wonach möchte ich streben? Ich möchte nicht vergessen, dass ich vieles nicht vermisst habe, bei mir z.B. mein geliebter Fußball, als er nicht rollte. Wir können ohne dies und das glücklich leben. Deshalb muss ich es nicht mehr unbedingt haben. Mein Sein ist wichtiger als das Haben. 

Dabei ist vielleicht auch etwas anderes wertvoll gewesen: Viele haben im letzten Jahr im ersten Lockdown, als sie mit einem Mal Zeit hatten, ausgerümpelt. Und die Erfahrung war Erleichterung: Mit weniger lebt es sich leichter. Ich wünsche mir, dass sich jetzt nicht alles wieder zustellt, ich möchte leicht durchs Leben gehen. Leicht und mit innerer Freude am Teilen. 

Mit dem Zeit haben wurde eine andere kostbare Erfahrung möglich: Ich meine das Herunterfahren mit seinen positiven Auswirkungen: Wachsen braucht Zeit, vielleicht sind Sie ja mehr gewachsen als zu anderen Zeiten. Das Hasten durch das eigene Leben verhindert, dass man vorwärts kommt. Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!  

Und in all dem war da eine neue Erfahrung von Stille. Vor allem im ersten Lockdown. Natürlich war das vielleicht auch keine ganz leichte Erfahrung, es tut sich mit mal eine Leere auf. Was soll ich damit machen? Aber mal nichts zu machen kann öffnen für Zusammenhänge, die unter der schnellen Oberfläche wirken. Wir sind ganz anders eingebettet in den Lebenskreislauf als wir es sonst merken. Und: Mechthild von Magdeburg hat die Worte formuliert: „Ich stehe vor dir als die leere Schale meiner Sehnsucht!“ Machen wir vielleicht deshalb so viel Lärm, Action, weil wir die Leere nicht aushalten, was wie Fülle wirkt oder wirken soll, ist in Wahrheit unerfülltes Leben?! Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu! 

Das Sein ist wichtiger als das Haben, das geteilte Leben ist kostbarer als das möglichst viel jetzt gleich ganz viel zu erleben. Das geteilte Leben! Die Pandemie ist eine Erfahrung, die nahezu alle Menschen dieser Erde betrifft. In 192 von 194 Ländern hat es Ansteckungen durch das Corona Virus gegeben. Wir leben in einer Welt, wir brauchen uns alle gegenseitig. Wir haben die Chance, für diese Wirklichkeit neu sensibel zu werden. Wir sind Teil eines Ganzen, alles hängt mit allem zusammen, wir gehören zusammen und wir sind alle für alle gegenseitig verantwortlich. Das macht unser Leben reicher! Wie absurd ist es da, dass ein Zehntel der Menschen 90% der Ressourcen verbrauchen!!!? Wir gehören zu diesem Zehntel. Das könnte doch vielleicht dafür öffnen, dass das nachhaltige Verändern und Zurückschrauben unseres Lebensstils ein Gewinn ist. Obwohl ich da nicht viel Hoffnung habe: unser Lebensstil hat schon zu viel an Gespür für Menschlichkeit zerstört. Aber wir können doch in unseren Kreisen einfach anfangen und dabei beten: Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu! Für einen Christen ist jeder Mitmensch eine Schwester oder einen Bruder, für die Christus sein Leben gegeben hat! Das Antlitz der Erde wird neu: Bedeutet Pfingsten nicht, dass die Jünger in allen Sprachen verstanden wurden, dass es gemeinsames gibt, die Botschaft des Lebens, die in jeder der über 650 Sprachen gehört wird. Ist es nicht möglich, dass wir uns verstehen?! Und alle miteinander in dem einen Haus des Lebens friedlich leben?

Dabei kommt die grundlegendste Erfahrung zutage, die diese Pandemie mit sich gebracht hat: Ich glaube, sie war eine große Verunsicherung: Ein kleines Halblebwesen hat unsere ganze so großartig aufgebaute Welt aus den Angeln gehoben. Reinhard Körner hat sie eine Beleidigung für uns aufgeklärte Menschen genannt. Die Sicherheiten, die wir uns aufgebaut haben mit immensen Aufwand (und unter Ausschluss großer Teile der Menschheit), sind uns aus den Händen geglitten, die Kontrolle hat sich als Illusion erwiesen. In den ersten Wochen, als diese Erfahrung frisch war und nicht schon wieder durch neue Scheinsicherheiten zugedeckt wurde, habe ich den Eindruck gehabt, dass es ein Nachdenken und Suchen gab, eine neue Offenheit für das, was wir wirklich brauchen: Gott kam neu ins Bewusstsein, auch wenn das viele in unserer Umgebung so nicht nennen. Sende aus Deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!

Ein jüdischer Weisheitssatz lautet: das Geheimnis der Erlösung ist Erinnerung! Ach dass uns Gottes Geist eine lebendige Erinnerung an das schenkt, was wir erfahren und lernen durften, von wem, von ihm, denn wir brauchen dringend, dass sich das Antlitz der Erde erneuert! Du Gott aller Menschen, du Gott Deiner ganzen Schöpfung! Sende aus Deinen Geist!