Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit 2020
von unserem Pfarrer Vornewald
Für Frau Merkel!
In den letzten Wochen sind kaum noch Fürbitten in den Schreibblock geschrieben worden, der hinten in unserer Kirche ausliegt. Die ersten großen Ängste haben sich vermutlich etwas beruhigt. Aber in der letzten Woche stand mitmal wieder etwas auf dem Block. Jemand hat geschrieben: „Für Frau Merkel“. Mehrere Tage lang habe ich es immer wieder gelesen. Mich beschäftigt das! Vielleicht einer von den Leuten, die für sie nur Verachtung übrig haben: für die Frau kann man nur noch beten, steigt aus der Atomkraft aus und wir zahlen alle höhere Energiepreise, holt hunderttausende Flüchtlinge ins Land und die Terroristen gleich mit und nun dieser Lockdown, wo sie dem deutschen Volk die Freiheitsrechte wegnimmt. Es gibt einen kleinen Hinweis dafür, dass die Bitte anders gemeint sein könnte. Sie wurde wenige Tage nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten aufgeschrieben, als denen die volle Verantwortung für den Umgang mit der Corona-Krise übergeben wurde. Vielleicht wünscht sich jemand, dass sie mit ihrer bedächtigen klugen Art weiterhin Einfluss nehmen kann auf den weiteren Verlauf des politischen Umgangs mit dem Virus. Und vielleicht ist noch mehr gemeint. In einem großen Interview hat Roger de Weck, ein Schweizer Publizist, gesagt, dass die große Gefahr für die liberale Demokratie vor allem darin bestehe, dass die Wirtschaft eine globale Stellung bekommen habe, dass sie alles überrollt und auch vor keinen Ländergrenzen Halt macht. Die von den Völkern gewählten Politiker seien gar nicht mehr die wirklichen Entscheidungsträger. Das habe zu einem großen Vertrauensverlust geführt in die geschaffenen demokratischen Strukturen. Ich habe die Beobachtung gemacht: Als die Gefahr des Coronavirus immer dringlicher wurde, gab es mit einem Mal einen Moment, wo dies außer Kraft gesetzt schien. Eine alte Frau noch aus der Kriegsgeneration kommentierte die Politik der Bundesregierung so, sie sagte: „Dass es in diesem Land noch einmal um mich und meine Gesundheit gehen würde, das hätte ich nie gedacht!“ Mit einem Mal erlebte man eine Politikerin, der es glaubwürdig um das Wohl ihrer Mitmenschen ging, für die sie in einem demokratischen Prozess eine große Verantwortung übertragen bekommen hatte. Und siehe da, die Zustimmungswerte schossen in die Höhe und die Populisten verschwanden von der Bildfläche. Nun ist wieder alles anders: Verschiedenste Interessen machen viel Krach, Journalisten wittern bei jeder Entscheidung, dass die eigene Karrieresehnsucht die eigentliche Triebfeder dahinter sei. Man fragt sich, ob es ein Zufall ist, dass es mehr als dreimal so viele gut bezahlte Lobbyisten in Berlin rumlaufen wie Bundestagsabgeordnete. Bin ich damit schon auf dem Weg zum Verschwörungstheoretiker? Oder ist es so, dass wir in einem riesigen Geflecht von Verbindungen und Abhängigkeiten leben und jeder kämpft um seine Existenz, das Ganze überblickt sowieso niemand. Wo tut sich einer wichtig? Wo ist es berechtigtes Interesse? Welche Maßnahme fürhrt zu welchen Ergebnissen? Ist das, was in Mikrophone geredet wird, wahr oder geht es eigentlich um was anderes? Aber bei allem möge jede und jeder die eigene Vorsicht walten lassen. Wenn wir auf Politiker schauen, dann ist eins sicher: sie spiegeln uns. Und mit solchen Leuten hat man es am schwierigsten umzugehen. Was ich selber denk und tu, das traue ich auch den anderen zu, vor allem Politikern … Es ist wichtig zu beten: Für Frau Merkel! Und man betet dabei auch für sich selbst …
„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“. Mit diesem Satz beginnt das heutige Sonntagsevangelium. Das Motiv ist Liebe zu ihm, der Ausdruck ist das Halten seiner Gebote. Seine Gebote? Dabei denkt man vermutlich unwillkürlich an die 10 Gebote. Und tatsächlich hat sie Jesus mehrmals zitiert, z. B., als der reiche junge Mann zu ihm kam. Leider haben viele irgendwie ein etwas gestörtes Verhältnis dazu: „Du sollst …“ Es ist angstbesetzt, wird als freiheitsraubend erlebt und mit Zwang verbunden. Und das war es wohl auch einmal! Leider haben wir beim Lernen der zehn Gebote als Kinder den Satz davor nicht mitgelernt: Da heißt es: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Sklavenhaus Aegypten herausgeführt hat“. Ich habe Euch in die Freiheit geführt, die Gebote sind der Weg, diese Freiheit miteinander zu leben. Dann sind sie so zu lesen, dass sie das gemeinsame Leben regeln, so dass Freisein zu einem konkreten Miteinander werden kann. Sie sind nicht Eingrenzung, sondern Weg in ein freies selbstbestimmtes Leben! Und „Meine Gebote“ meint noch mehr. Für Jesus münden sie in das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe ein. Liebe ist der Geist der Gebote, sie lassen Liebe konkret werden oder sie sind leer und hohl. Das kann man in der Bergpredigt nachlesen. Da zeigt Jesus auf, dass die Gebote von der Wurzel her gehalten und gelebt werden müssen. Mit dem 5. und 6. Gebot wird dies durchexerziert. Es reicht nicht, wenn jemand sagt, er habe ja keinen umgebracht und fremd gegangen sei er auch nicht. Es geht um ein inneres Halten, dass man das Leben jedes anderen achtet, und die Liebe zwischen Mann und Frau, die in einer Ehe leben. „Meine Gebote“ sind nicht nur äußeres Gerüst, man kann sie nur leben in seinem Geist. Was ist gemeint und gefordert, wenn man es von der Wurzel her sieht? Es ist ganz logisch, dass es schon im nächsten Satz um den Geist geht, den „anderen Beistand“. Der wird im folgenden „Geist der Wahrheit“ genannt. Und genau hier schließt sich der Kreis: „Wenn ihr mich liebt“ bedeutet ja, dass wir uns einfühlen in das, was ihn bewegt, was er will. Dazu müssen wir hineinhören, was er sagt, vor alem uf die wesentlichen Sätze, z.B.: Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen!“ Heißt das, dass es ihm um das Leben jeder und jedes einzelnen geht? „Für Frau Merkel!“ Wobei das Evangelium da so etwas wie einen Riegel vorschiebt: „Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht erkennt“, sagt Jesus. „Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird.“
An diesem Punkt ist es gut, wenn wir uns vor Augen führen, in welchem Zusammenhang diese Worte gesprochen sind: Sie sind Teil der sog. Abschiedsreden, des langen Gesprächs, das uns das Johannesevangelium überliefert vom letzten Abend im Leben Jesu. Den Jüngern steht vor Augen, dass die wunderbare Zeit mit ihm nun vorbei sein wird und sie haben große Angst, in ein bodenloses Loch zu fallen. Denn die Hoffnung, die er in ihnen ausgelöst hat und die Perspektive im Blick auf seine Worte und Taten zerrinnen. Alles, was es in ihnen ausgelöst hat, als sie erlebten, wie er mit ihnen und anderen Menschen umgegangen ist, und die Freude, die Lebensdynamik, die von ihm ausging, werden zerplatzen wie ein Seifenblase. Vergiss es, die Realität ist nun mal so, wie sie ist, da ist kein Platz für Träume, glaubst Du das etwa wirklich, dass es um die oder den einzelnen geht? Bloß, wer so die Realität sieht, ist in Gefahr, in den Sog seiner eigenen Enttäuschungen zu geraten, er wird selber ein Stück dieser „Realität“. Doch Jesus versucht, in diesem letzten Gespräch den Jüngern eine völlig andere Realität zu zeigen. Ja, er wird sterben. Aber dies ist nicht Abbruch seines Wegs, der in ihnen zur Bewegung wurde, sondern die letzte Konsequenz, und ist ein weiter und mehr und immer mehr seine Zuwendung, bis ins Letzte. Die dann am Ostermorgen ganz neu und in einer großen Strahlkraft aufgeht: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. Nur noch kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr werdet leben.“ „Jemand lieben heißt ihm sagen: Ich will, dass Du lebst“, hat Tomas Halik gesagt! „Ich lebe und auch ihr werdet leben!, sagt Jesus! Wenn dies die Realität ist?! Dann ist die Perspektive jeder und jedes Einzelnen nicht, dass ja sowieso niemand an ihn denkt, dann können einen Erfahrungen, wo auf die eigenen Belange eines Einzelnen keine Rücksicht genommen wird, nicht wirklich niederdrücken. Dann ist darin die Kraft, sich selber zu achten, so dass man frei ist zu lieben, anders gesagt, seine Gebote zu halten. Und dies ist Geborgenheit und Vision zugleich: „An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch!“ Vom Vater, natürlich von dem im Himmel, bis zu uns ist eine Brücke gebaut, eine Brücke der Verbundenheit, die er ist! Dann bedeutet Realität, dass der Himmel offen ist und nicht, dass er sich immer wieder nur wieder verschließt, dass es realistisch ist zu beten: „Für Frau Merkel!“ oder anders formuliert: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden!“ Natürlich ist das nur dann ehrlich, „im Geist der Wahrheit“, wenn wir es nicht nur erbitten, sondern die Bitte vollziehen, wenn wir seine Gebote halten, wenn wir es wahr machen! Und wenn es heißt, dass die Welt den Geist der Wahrheit nicht sieht und nicht kennt, dann ist darin der Ansporn, dass sie ihn kennen lernen kann an Menschen, die Seine Gebote halten. Für uns, die versuchen, ihn zu lieben, geht es um jede und jeden einzelnen. Am Dienstag gab es eine neue Fürbitte auf unserem Block, diesmal nicht so politisch, aber ausgesprochen liebenswert: Es hat jemand aufgeschrieben: Für alle, die in dieser Woche Geburtstag haben!