Herzlich Willkommen

Predigt zum 03.07.2021

von unserem Pfarrer Christian Vornewald

Aus dem Evangelium Jesu Christi nach Markus.

In jener Zeit

kam Jesus in seine Heimatstadt;

seine Jünger folgten ihm nach.

Am Sabbat lehrte er in der Synagoge.

Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten,

gerieten außer sich vor Staunen

und sagten: Woher hat er das alles?

Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist?

Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen?

Ist das nicht der Zimmermann,

der Sohn der Maria

und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon?

Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?

Und sie nahmen Anstoß an ihm.

Da sagte Jesus zu ihnen:

Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen

außer in seiner Heimat,

bei seinen Verwandten und in seiner Familie.

Und er konnte dort keine Machttat tun;

nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie.

Und er wunderte sich über ihren Unglauben.

Und Jesus zog durch die benachbarten Dörfer

und lehrte dort.

Evangelium unseres Herrn Jesus Christus

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Eine widerspendige Erzählung ist heute unser Evangelium. Warum wird Jesus abgelehnt, als er in sein Heimatdorf kommt? Da, wo ihn alle kennen, wo sie mit ihm gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen teilen. Eigentlich müsste doch große Freude und Neugier ihm entgegenkommen. Und vielleicht auch ein bisschen Stolz, er kommt aus unserem Dorf! Schließlich hatte Jesus einen Ruf. Wenn man genauer hineinhört, dann ist es genau das, was er von Gott hat, was sie befremdet: „Die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm.“ Wenn wir das auf uns wirken lassen, dann kriegen die Leute das nicht zusammen: auf der einen Seite ihr alltägliches Leben und Jesus, der in sein Dorf zurückkehrt, ist ein Teil davon, auf der anderen Seite eine Weisheit, eine Vollmacht, die ihnen Angst macht, die unheimlich ist. Es bricht etwas ein in ihr Leben, dass alles durchkreuzt.  Gerade weil er ihnen so alltäglich nahe ist, ist dieses andere schwer zu ertragen? Auf der einen Seite ist es doch wunderbar zu glauben, dass in ihm Gott menschliche Züge angenommen hat, so dass wir ihn verstehen können, ihn aufnehmen können, sich die ganze Fülle Gottes ausdrückt in einem menschlichen Leben! Er ist in allem uns gleich geworden! Dieser Satz ist für mich ganz ganz wichtig (weshalb ich mich in plakativer Priesterkleidung immer unwohl gefühlt habe). Was für eine Nähe zu uns, wie kann man sich da verstanden wissen! Er teilt alles mit uns!

Allerdings gibt es beim Apostel Paulus, der diesen Satz formuliert hat, zu dieser Grundaussage noch einen Beisatz: Er ist in allem uns gleich geworden, außer der Sünde. Dieser zweite Teil ist mir erst sehr viel später wichtig geworden. Wobei man doch sagen muss: Gott sei Dank. Er sündigt nicht mit! Wenn seine Nähe das bedeuten würde, dann wäre er keine Hilfe! Im Gegenteil, ein Gott, der böses tut, auf den möchte ich mich niemals beziehen! Dann könnte ich nicht vertrauen! Doch wie geht diese Spannung auf? Von in allem uns gleich und doch sehr anders? Soll man sogar sagen: Ganz anders als wir? Die Bewohner von Nazareth haben diese Spannung nicht ausgehalten. Natürlich, wenn der innere Grund ihrer Ablehnung darin liegt, dass er nicht mitsündigt, dann fühlten sie sich auch in Frage gestellt. Welche Wirkung hat dann seine Rede ausgelöst. In der Lesung, die heute dem Evangelium zugeordnet ist, heißt es als Anrede an den Propheten Ezechiel: „Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. Sie aber: Mögen sie hören oder es lassen — denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit —, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.“

Ein Prophet?! Bleiben wir bei den zwei Stichworten, die im Evangelium gegeben sind: Weisheit und Machttaten. Weisheit ist ihm gegeben, heißt es. Das meint eine Art von geistiger Größe und Überlegenheit, einen weiten Blick, meint Einsichten, die andere so nicht finden, schwieriges so durchdrungen zu haben, dass man es ganz einfach erklären kann; so jemand zuzuhören, ist einleuchtend und gewinnbringend. Und es meint jemand, der die Wahrheit sagt, der darin unterscheiden kann, der klar und unbestechlich ist. Es meint jemand, der eine ganz ursprüngliche Autorität hat, wirkliche Autorität, der man sich nicht entziehen kann, außer man läuft davor weg, wohl wissend, dass man im Unrecht ist. Machttaten geschehen durch ihn, heißt es. Er bewirkt etwas, er hat Kraft, was er sagt, hat Gewicht und wirkt sich aus. „Ich aber sage euch!“, wird Jesus immer wieder zitiert, oder: „Amen, Amen, ich sage euch …!“ Und das sind keine leeren Worte, sondern sie verändern, verwandeln, befreien,

Die Weisheit ist ihm gegeben, die Kraft für die Machttaten, die durch ihn geschehen, es ist ihm gegeben, es geschieht durch ihn, wo kommt es her? Bei einem Propheten ist intuitiv klar, dass hier Gott wirkt. Und bei Jesus ist es wohl so: Je mehr sich in ihm der lebendige Gott zeigt und schenkt, er in allem uns gleich wird, eine unsagbare Nähe schenkt, desto größer ist es, wenn so der lebendige Gott aus ihm spricht. Und Gott ist doch immer auch der ganz andere, gerade das macht ihn doch zu Gott. Beides, uns gleich und ganz anders, ist Jesus in einer Person, und das eine verstärkt das andere. Wenn er tatsächlich in allem uns gleich wird, dann ist darin die Kraft einer Liebe, die sich ganz schenkt, ohne Abgrenzung, ohne ein „Aber“, und darum ganz anders.

Wenn nun das „ganz anders“ darin besteht, dass in allem uns gleich geworden ist „außer der Sünde“? Was heißt das? Wenn man das versteht als eine Art von Sündenvermeidung, dann geht das ins Leere. Man kann Böses nicht vermeiden, sondern dabei braucht es immer diesen Schritt darüber hinaus, nicht sündigen heißt positiv lieben.

So gesehen kann es gar nicht anders sein, als dass Jesus bei seiner Predigt in der Synagoge in seiner Heimatstadt nichts anderes als Motiv hatte, als sich seinen Zuhörern zuzuwenden in wirklicher Liebe zu Gott und zu ihnen. Aber genau darum hat er sich von ihnen nicht einverleiben lassen, dass er auf ihr Niveau, ihre Verhaltensmuster gegangen wäre, es ihnen recht machen wollte, was nicht möglich ist, ohne sich selbst zu verraten. Sich zu verraten? Das hätte bedeutet, dass er sein ganz ursprüngliches Wissen um Gott vergessen hätte, er wäre dann nicht mehr Sohn Gottes, sondern Kind seiner Zeit, seiner Herkunft gewesen. Je näher beides kommt, desto schwieriger ist es. Sie wollten sich nicht von ihm mitnehmen lassen auf seinen Weg zu Gott, er sollte wieder zurückkehren in das, was er gerade durch sein Gottessohnsein verlassen hatte. Aber es wirkt in dem Text so, dass er das nicht willentlich intendiert. Er tut einfach seins, er liebt. Und für sie ist es unerträglich.

Das Christentum ist eine Familienreligion, von hierher gesehen aber auch keine Familienreligion. Im Gegenteil, die ersten, die sich Jesus zugewandt hatten, wurden deshalb aus ihrer Familie verstoßen. Man kann nicht bruchlos sozusagen als Familientradition gläubig sein, es braucht immer auch dieses andere, dieses eigene aus Gott geboren, diese Freiheit aus Gott, der mein Erstbezug wird, was eine ganz gesunde Distanz schafft zu allen anderen Bindungen, eben außer der Sünde. Gerade weil und indem ich den Anderen liebe, mache ich nicht alles so, wie die oder der Andere es von mir erwartet. Das muss durchbuchstabiert werden im Verhältnis von Eltern und Kindern, von Ehepaaren, im Umgang miteinander in Freundeskreisen. Und der, der Jünger geworden ist, das ist nur ein anderes Wort für Christ, wird sich seinen Bezug zu Jesus und seine Nähe zu Gott nicht nehmen lassen. Das ist eine persönliche Frage, die jeder und jedem von uns gestellt ist, es geht um die eigene Ichstärke aus dem Du Gottes, das uns in Jesus tief ins Herz gesagt ist, der in allem uns gleich wurde außer der Sünde!