Herzlich Willkommen

Predigt zum 20.06.2021

von unserem Pfarrer Christian Vornewald

Hier können Sie sich die Predigt anhören

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus.

An jenem Tag,

als es Abend geworden war,

sagte Jesus zu seinen Jüngern:

Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren.

Sie schickten die Leute fort

und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg;

und andere Boote begleiteten ihn.

Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm

und die Wellen schlugen in das Boot,

sodass es sich mit Wasser zu füllen begann.

Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief.

Sie weckten ihn

und riefen:

Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?

Da stand er auf,

drohte dem Wind

und sagte zu dem See: Schweig,

sei still!

Und der Wind legte sich

und es trat völlige Stille ein.

Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst?

Habt ihr noch keinen Glauben?

Da ergriff sie große Furcht

und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser,

dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?

Evangelium unseres Herrn Jesus Christus

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In der letzten Woche haben wir uns an die Osternacht im letzten Jahr erinnert, als sehr viele von uns von zuhause aus die Liturgie mitgestaltet haben, die Lesungen kamen aus einem Wohnzimmer, aus dem Garten, vor einer Wand stehend, zwischen Blumen oder im Hobbyraum wurde eine Fürbitte gesprochen, vor immer wieder anderen Kulissen sagten von zuhause aus Mitglieder unserer Gemeinde: Ich widersage, Ich glaube! Der Friedensgruß dauerte vier Minuten lang! Was mich in der Erinnerung daran so fasziniert, ist: Das war nicht in dieser Sonderwelt Kirche, sondern Liturgie und das Leben zuhause waren viel mehr verschmolzen. Man hatte auch nicht den Eindruck, als hätte man sich zurechtgemacht: Was sollen denn die Leute denken? Vieles war natürlich und man hörte und erkannte die Persönlichkeiten. Liturgie ist Glaubensausdruck, entweder Teil des wirklichen Lebens oder es gehört abgeschafft. Auch wenn manche Zeichen und auch die Sprache etwas entfremdet sind dem alltäglichen Leben gegenüber. Das hängt natürlich damit zusammen, dass das Geschehen des Gottesdienstes sich aus vielen Puzzleteilen zusammensetzt und manches einfach aus anderen Zeiten stammt. Es hat noch einen anderen Grund: Gott ist der ganz andere, und dieses Anderssein, ohne dem es ja doch nur wieder dasselbe wäre, was weder hilft noch irgendwie herausführt, ist das, was Gott Gott sein lässt.

In der Erzählung, die heute unser Evangelium ist, geht es zunächst mal wirklich um das reale Leben. Sie sind unterwegs vom einen Ufer des Sees zum anderen Ufer, als etwas passiert, was die Jünger, die ja als Fischer mit diesem See vertraut waren, nur zu gut kannten. Von drei Seiten ist der See Genesareth von Bergen umgeben. Wenn Winde aufkommen, kann es schnell zu Verwirbelungen kommen, die binnen Minuten den See in ein reißendes Gewässer aufpeitschen. Sie wussten natürlich auch aus eigener Erfahrung, wie gefährlich das ist. Jesus ist mit ihnen im Boot. Was erleben sie: etwas ziemlich befremdliches. Er lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief.  Man stelle sich den Blick seiner Freunde vor: Wie kann er jetzt schlafen? Aber: Er ist ganz anders. Er lebt aus oder in einer Wirklichkeit, ganz bei ihnen und doch ganz anders: Er ist Gottes Sohn und zugleich ein Mensch wie jeder andere. Als Gottes Sohn weiß er um den Vater, weiß sich absolut sicher und geborgen und kann schlafen. Nein, das ist noch zu willentlich: Es muss heißen: und schläft. Das ist ein krasser Kontrast zu dem, was seine Jünger gerade erleben: Die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Dass sie da Angst bekommen, ist ganz normal und nicht zu verurteilen. So ist das im wirklichen Leben. Sie weckten ihn, Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still. Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Was für ein Frieden, Erleichterung, Rettung, ja Erlösung! Das ist mit einem Mal für die Jünger kein theologischer Kunstbegriff, so redet man halt in der Kirche, was das bedeutet, weiß ich nicht, weiß der Pfarrer vermutlich selber nicht. Es übersetzt sich in eine überwältigende Erfahrung. Die große Furcht, von der dann die Rede ist, ist wohl etwas ganz anderes als die Angst zuvor: Sie hat etwas zu tun mit Ehrfurcht, mit dem unmittelbaren Wissen, es hier mit dem lebendigen Gott zu tun zu bekommen! Und darin verändert, verwandelt sich die eigene Angst: Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit, alle, die danach leben, sind klug, heißt es in den Psalmen. Es verschieben sich die Gewichte, wenn ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen! Dann ist das Nachgeben gegenüber der unmittelbaren Angst nicht mehr die einzige Variante, dann ist etwas mittendrin, was die Möglichkeit gibt, sich der eigenen Angst zu stellen und sie zu befragen.

Alles beginnt damit, dass die Jünger die Kraft Gottes mitten in ihrem gewöhnlichen Leben erfahren. Dort, wo sie sich auskennen, wo sie um die Gefahren und Möglichkeiten wissen. Und gerade deshalb umso mehr in eine Bedrängnis geraten, wo die eigenen Sicherheiten aus den Händen gleiten und nicht mehr tragen: das Boot füllte sich mit Wasser! Das Wasser stand ihnen bis zum Hals. Es war kurz vor dem Absaufen!

In diesem Augenblick möchte die Geschichte ein wenig so weiterlesen, wie sie eine Palliativmedizinerin gelesen hat. Es gibt eine Situation, in der jeder und jedem von uns die Sicherheit wegrutscht, und wir auch keinen Ausweg haben. Es ist die Realität dieses Lebens. Und wir stürzen völlig ins Ungewisse, denn niemand kann sagen und niemand weiß, was kommt. Denn die Erfahrung hat noch keiner gemacht und so konnte auch keiner davon berichten. Aber jede und jeder von uns weiß absolut sicher, dass es so kommen wird. Dieser Realität entgeht keine und keiner. Ich meine den Tod. Ist es Absaufen ins Nichts? Diesem Sturm ist keiner gewachsen. Irgendwie passt dies zu unserer Erzählung. Schließlich sind die im Boot ja auf dem Weg zum anderen Ufer. Und hier wie dort tritt nach dem Kampf völlige Stille und Ruhe ein. Soll die Erzählung vielleicht das Vertrauen wecken, Jesus ist auf diesem Weg zum anderen Ufer mit uns im Boot! Er schläft nur. Wir haben nur ein Schiffchen aus Papier, singt Reinhard Mey in einem Lied über das gemeinsame Leben mit seiner Frau. Aber mit ihm ist die völlige Stille, die eintritt, kein Besiegt werden, sondern ein Sieg.  In der Parallelgeschichte im Matthäusevangelium wird sogar berichtet, dass der Herr auf dem Wasser zu ihnen kommt und Petrus auf dem Wasser ihm entgegenläuft. Habt Vertrauen, ich bin es, fürchtet euch nicht, hatte es gesagt. Wenn du es bist, dann lass mich auf dem Wasser zu Dir kommen, hatte Petrus gesagt und Jesus hatte zur Antwort gegeben: Komm! Als der Petrus anfängt zu reflektieren, als er seinen Blick von Jesus weg auf den Wind und die Wellen lenkt, da fängt er an zu sinken. SOFORT, heißt es mit einem ganz starken Wort im griechischen Urtext, streckte Jesus seine Hand aus und hielt ihn fest. Über unser Vertrauen können werden wir vertrauen, werden wir gehalten. Bei der Geschichte können die anderen Jünger im Boot bleiben und beobachten, das ist auch schon eine Erfahrung, irgendwann ist wohl jede und jeder von uns dran. Und dann dürfen wir uns gerufen wissen: Komm!, wird Jesus sagen! In irgendeinem der anderen Boot, die sich auf den Weg gemacht hat, bist Du, bin ich schon mittendrin. Unterwegs zum anderen Ufer! Und Jesus schläft auch in meinem Kampf ums Überleben, ist verfügbar auf meinem, unserem Weg zum anderen Ufer.

Es ist wohl so, dass die anderen vorherigen Erfahrungen des eigenen Lebens so etwas wie Übungsstunden sind. Wer sein Leben retten will, sagt Jesus, verliert es, wer es verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen! Bedeutet lieben nicht immer auch ein mich loslassen, mich verschenken, nichts festzuhalten, auch und gerade nicht mich. Wir können das in vielen kleinen Gesten, Begegnungen versuchen. Immer zum anderen hin, zum Nächsten, auf dass ich mich ihm als Nächster erweise. Immer können wir üben, uns nicht zurückhalten zu lassen von der Angst und vom Misstrauen. Einmal wird es die ganze unentrinnbare Wirklichkeit werden, ich weiß absolut nicht, was wird. Gott ist ganz anders als alles, was ich erfahren habe.

Ich wünsche uns allen, dass es dann trägt, was eine ganze Reihe von uns damals in der Feier der Osternacht gesagt haben: Ich glaube! mitten im eigenen Wohnzimmer mit der brennenden Kerze in der eigenen Hand, dem Licht des Lebens!