Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit 2 021
von unserem Pfarrer Christian Vornewald
Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Ich bin der wahre Weinstock
und mein Vater ist der Winzer.
Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt,
schneidet er ab
und jede Rebe, die Frucht bringt,
reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.
Ihr seid schon rein kraft des Wortes,
das ich zu euch gesagt habe.
Bleibt in mir
und ich bleibe in euch.
Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann,
sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt,
so auch ihr,
wenn ihr nicht in mir bleibt.
Ich bin der Weinstock,
ihr seid die Reben.
Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe,
der bringt reiche Frucht;
denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.
Wer nicht in mir bleibt,
wird wie die Rebe weggeworfen
und er verdorrt.
Man sammelt die Reben,
wirft sie ins Feuer
und sie verbrennen.
Wenn ihr in mir bleibt
und meine Worte in euch bleiben,
dann bittet um alles, was ihr wollt:
Ihr werdet es erhalten.
Mein Vater wird dadurch verherrlicht,
dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet.
Evangelium unseres Herrn Jesus Christus
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Im Jahr 1982 bekam mein Vorgänger Pfarrer Kaiser von Herrn Breitkopf, der sich mit der Chronik beschäftigte, einen Hinwies. Er zeigte ihm einen Brief, der auf Latein geschrieben in unserer Chronik aufbewahrt ist. Er war mit Bleistift auf ausgerissenes, braunes ziemlich hartes Papier geschrieben. Er sollte sich herausstellen, dass das Papier von einem Zementsack stammte. Der Brief war vom Karfreitag 1945. Er war für den damaligen Pfarrer von Blankenburg bestimmt und war aus dem Zwangsarbeiterlager in Blankenburg herausgeschmuggelt worden, wo ca. 600 Menschen unter menschenunwürdigen Verhältnissen einen Tunnel graben mussten für die Produktion von Kriegsmaterial. Über 200 von ihnen sind dabei gestorben, wir sagen besser durch Arbeit ermordet worden. Der Verfasser berichtete in dem Brief von drei katholischen Priestern im Lager und davon, dass viele der Gefangenen katholische Christen seien, die sich innig (vehementer) wünschen, die Osterkommunion zu empfangen. Der Absender war einer der Priester aus Belgien. Der Pfarrer begab sich auf Spurensuche. Über das Ordinariat des Bistums Hildesheim und von dort über die belgische Bischofskonferenz versuchte er, den Priester zu finden, der den Brief geschrieben hat. Und tatsächlich, der Priester, der den Brief geschrieben hatte, konnte gefunden werden. Er hieß Pere Etienne Eeckhout (P. Stephanus) und war Mönch der Benediktinerabtei Maredsous in Belgien. Er war der einzige von fünf Priestern, der das Lager überlebt hatte. Es wurde Kontakt zu ihm hergestellt, so konnte man näheres erfahren. Der Brief war von einem Mann überbracht worden, der als Handwerker wohl in dem Lager zu tun hatte, selber aus dem Sudetengau stammte und daher katholisch war.
Der Blankenburger Pfarrer vertraute dem Überbringer und übergab ihm eine Dose in einem kleinen Säckchen genäht aus Sträflingskleidung, die Hostien in der Dose zum Schutz in feines Papier eingehüllt. Es war eine ganz normale Dose, eigentlich für Hühneraugenpflaster gedacht. Es musste ja jeder Verdacht vermieden werden. Aus dem Kontakt wuchs eine Verbundenheit. Der P. Stephanus kam mit weiteren ehemaligen Zwangsarbeitern nach Blankenburg und es gab am 1. Sept. 1985 eine gemeinsame Wallfahrt zur Huysburg, „als Zeichen der Sühne für alles Unrecht, das im 2. Weltkrieg verübt wurde und als Zeichen der Versöhnung zwischen Menschen und Völkern“. So steht es auf einem Andachtszettel, der eigens für diesen Tag gedruckt wurde. 1988 feierte P. Etienne in Anwesenheit mehrerer Mitglieder unserer Pfarrei in seinem Kloster sein goldenes Priesterjübiläum. Bei dieser Gelegenheit hat er die kleine Hostiendose an die Pfarrei Blankenburg übergeben. Er hatte sie als eine besondere Glaubenserfahrung bei sich aufbewahrt.
Vor einiger Zeit wurde beschlossen, den alten Tunnel zu verfüllen und in diesem Zusammenhang auch ein Auftrag zu historischer Aufarbeitung vergeben, damit mit der Verfüllung des Tunnels nicht auch die Erinnerung verschüttet wird. Dazu wurde auch in unsere Chronik geschaut. Und mir erging es wie damals Pfarrer Kaiser. Mir wurde bewusst, welches Glaubenszeugnis wir aufbewahren. Inzwischen ist die Idee geboren, dass wir uns als Pfarrei an dem öffentlichen Erinnern an dieses Stück Blankenburger Geschichte beteiligen und die Dose, das Säckchen zusammen mit dem Brief in einer Vitrine sichtbar in unserer Kirche ausstellen.
Aber es ist nicht nur ein historisches Zeugnis, sondern auch ein tiefes Glaubenszeugnis. In einem Brief an Pere Etienne erinnert sich der damals zuständige Pfarrer von Blankenburg an den mutigen Mann, der bereit war, die Hostien in das Lager zu bringen. Er schreibt: „Ganz große Hochachtung habe ich vor dem Arbeiter, den Sie zu mir geschickt haben. Zuerst war ich misstrauisch, weil ich ihn für einen Spitzel hielt, der mir eine Falle stellen sollte, aber bald hatte ich volles Vertrauen und habe ihm gern die hl. Hostien gegeben und sehr bedauert, dass er nicht häufiger kam. Als ich dem guten Arbeiter sagte: Seien Sie vorsichtig, dass Sie nicht gefasst werden, antwortete er, wenn ich wegen solch einem heiligen Dienst ins KZ komme, ist es mir eine Ehre!“
Mich bewegt diese Erinnerung sehr. Unter Lebensgefahr haben Menschen auf diese Weise ihren Glauben gelebt, haben möglich gemacht, dass die Osterkommunion empfangen werden konnte. Es gab ein tiefes Verlangen danach. Im Lateinischen steht dort vehementer! Es gab also ein vehementes Verlangen. Das macht mir zu schaffen. Ich weiß so viele in unserer Pfarrei, die bis heute keine Osterkommunion empfangen haben, einfach weil sie sich wegen der Ansteckungsgefahr nicht trauen in die Kirche zu kommen. In dieser Woche sind die Zahlen der Infizierten wieder so hoch bei uns, dass wir die Gottesdienste aussetzen müssen. Hoffentlich können sie das bald nachholen. Solche Erzählungen wie die von dem Brief und der Kommunionfeier im KZ-Lager helfen vielleicht, den eigenen Schatz des Glaubens zu entdecken und seinen eigenen Glauben zu wecken, aufzuwecken!
Dietrich Bonhoeffer, ein Zeitzeuge aus jener Zeit, hat die Überzeugung formuliert: „Das ist die wichtigste Frage für jeden Menschen: Wer ist Jesus Christus – für mich?“ Die Begebenheit mit der unter großer Gefahr gebrachten Dose voll Hostien gibt eine große Antwort.
Bloß, inwieweit ist so eine Geschichte nur eine historisch beeindruckende Begebenheit, wenn man sich in die Situation hineinversetzt? Welchen Impuls kann sie Dir, kann sie mir geben?
Im heutigen Evangelium wird die Beziehung von uns zu Jesus Christus beschrieben mit dem Vergleich des Weinstocks zu den Reben. Es beginnt damit, dass er sagt: Ich bin der Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Der Weinstock ist unbedingt nötig, damit sich die Pflanzen an ihm hochranken. „ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, sagt Jesus. Und die innere Bindung, die er damit meint, beschreibt er mit den Worten: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht!“
Reiche Frucht? Für viele Menschen ist es so anstrengend und schwierig, in diesen Zeiten innere Sicherheit zu finden, es gibt keine festen Strukturen, alles rutscht weg in der Ungewissheit über die Zukunft und in der irgendwie unheimlichen Bedrohung durch die Gefahr der Ansteckung. Wer in mir bleibt und ich in ihm, ist das nicht eine innere Gewissheit, die genau so viel Sicherheit geben kann, so dass die Nase aus dem Wasser guckt. Früher hat man das Blut Christi mit dem Drachenblut verglichen. Er schenkt eine innere Freiheit, so dass wir nichts und niemand ganz ausgeliefert sind. Alles überwinden wir durch den, der uns geliebt hat, sagt der Apostel Paulus. „Wer in mir bleibt und ich in ihm“, das drückt sich am tiefsten aus in der Kommunion. Er, der Schloss und Riegel sprengt, vermag in unser tiefstes Herz zu gelangen: Friede sei mit Euch!
„Der bringt reiche Frucht!“, sagt Jesus. Das öffnet einen großen Sinnhorizont. Mein Leben ist nicht nichts, durch jede und jeden von uns kann kostbares wachsen, reiche Frucht! Ranke Dich fest am Weinstock und Du wirst der Sonne entgegenwachsen und Frucht bringen, reiche Frucht.
Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund, den Weinstock als Bild für ihn zu wählen: Denn die Frucht des Weinstocks gibt dem Leben Freude und Festlichkeit. „Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Liebe und Güte, ein wenig mehr Licht und Wahrheit in der Welt war, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt“, sagt Alfred Delp. Man kann das im Blick auf die Frucht des Weins so sagen: Der Sinn des Lebens ist, einander Freude zu bereiten!
Die Kommunion ist Begegnung mit Jesus Christus, mit dem, der ganz und total geliebt hat und als dieser Liebende sogar den Tod überwunden hat. In den ersten Jahrhunderten der Christenheit wurde in der ganzen Osterzeit nicht gekniet, weil Gott uns in der Auferstehung Christi so aufgerichtet hat. Deshalb wird die Kommunion aufrecht stehend empfangen. Als Sophie und Hans Scholl und die anderen als Jugendliche zunächst ganz begeistert waren von der Hitlerjugend, war ihr Vater ärgerlich. Als sie sich darüber beklagten, sagte der Vater: Ich möchte doch nur, dass ihr gerade und frei durchs Leben geht!