Predigt zu Heiligabend 2020
von unserem Pfarrer Vornewald
In diesem Jahr habe ich mich öfters an mein erstes Weihnachten erinnert nach meiner Priesterweihe. Ich hatte mir vorgestellt, wie es wohl den Leuten ergehen wird, die in der heiligen Nacht allein sein werden. Dabei fiel mir ein, wie es mir ergangen war. Ich fühlte mich sehr einsam. Der Reihe nach. Ich hatte gearbeitet bis kurz vor dem Ende, also sozusagen bis zum Abwinken, das noch und das auch noch und das noch und das wäre wichtig …. Dann kam die Familienchristnacht mit kleinem Krippenspiel nachmittags um 16 Uhr. Die Kirche war proppenvoll, bestimmt 800 und mehr Leute. Die ganze Zeit über war Krach, die Eltern ließen ihren Kindern freien Lauf. Beim Krippenspiel war kein Wort zu verstehen, auch bei der Wandlung unterhielt man sich … Eine Katastrophe. Das war das Resultat wochenlanger Vorbereitung. Ich war furchtbar enttäuscht und traurig. Danach bin ichzu meinem Pfarrer gegangen, ich war von ihm zum Abendessen eingeladen. Eine Weile nach dem Essen hatte ich den Eindruck, dass ich jetzt nicht mehr dazu gehörte an diesem Abend mit seinen extra angereisten Eltern und Verwandtschaft. Ich bin also in meine Wohnung. Da war nichts vorbereitet. Dafür hatte ich mir keine Zeit genommen. Beten ging nicht, ich bastelte an einem Modellauto. Dann bin los gegangen, raus aus meiner unaufgeräumten Wohnung, und durch die leeren Straßen. Das Wetter war nicht sehr weihnachtlich, eher warm und schmuddelig feucht. Ich sah durch die Fenster Lichter von Weihnachtsbäumen, hörte Musik und manchmal Stimmen. Ich stellte mir vor, dort ist jetzt Bescherung, man sitzt zusammen … Aber für mich war nirgendwo Platz. Keiner wartete auf mich. Mit einem mal schoß es mir durch den Kopf: In der Herberge war kein Platz für sie … Dasselbe passiert mir gerade. Es kehrte ein Frieden bei mir ein. Ich war über mich selber überrascht. Ich konnte mich nun über alle freuen, die in den Häusern den heiligen Abend feierten. Ich hatte meins gefunden und war so froh. Ich war irgendwie verloren, ja. Aber ich hatte meins. Eine tiefe Freude war bei mir eingekehrt. Noch heute betrachte ich diese Erfahrung als meine wohl größte Weihnachtsgnade. Wie es wohl denen ergeht, die zum Schutz vor Ansteckung mit dem Corona-Virus in diesem Jahr allein sind am heiligen Abend. Ich wünsche ihnen etwas von meiner Freude. Kein Grund zum Neid, keine Anflüge von Verzweiflung, und nicht diese bodenlose Angst, vergessen zu sein und nicht dazu zu gehören. Ich habe meins, ich verpasse nichts. Eine alte Frau hatte eine Spruchkarte auf ihrem Regal stehen: Die Einsamkeit ist das Audienzzimmer Gottes.Vielleichtkann das öffnen für die Zeichen der Zuwendung, die jemand bekommt, wenn auch die fehlen, auf die sie oder er gewartet hat. Erschwerend, beschwerend ist natürlich die Sorge um das, was da bedrohlich so nahe zu sein scheint. Bei manchen auch die Sorge um Menschen, die erkrankt sindUnd was ist mit denen, die heute nicht allein sind? Hoffentlich Freude an der Gemeinschaft, gerade auch aus der Einsicht, dass im Moment vieles ja nicht selbstverständlich ist. Aber für manche ist der Weihnachtsabend mit den Menschen, mit denen sie dann zusammen sind, alle Jahre wieder wie ein Versprechen, was sich nicht einlöst. Manche sind müde, nach all dem Stress der Vorbereitung. Und vielleicht deshalb gereizt und unduldsam. Und vermutlich noch mehr der innere Stress einer akuten Pandemiesituation, in der wir alle drin stecken. Wenn jeder sich anlehnen will, weil er keine Kraft hat, dann hält dasKonstrukt nicht. Und irgendwie ist dieser Abend so überladen mit Erwartungen. Einmal im Jahr eine stille, eine heilige Nacht. Was das ist, da gehen in die Empfindungen vermutlich schon wieder weit auseinander. Es kommen verschollene Sehnsüchte hoch, als wir noch Kind waren und die Welt offen vor uns stand, hoffentlich in echter Liebe geborgen und darin frei gelassen. ‚Kindesauge. Diamant in der Erde Wüstensand. Welten von verlornem Glück, strahlen mir aus dir zurück.’ Ob das Glück nochmal wiederkommt? Oder ist die heilige Nacht eine Illusion, Guckt man deshalb zu Weihnachten so viele Märchenfilme? Bei manchen ist vielleicht auch manches zerbrochen und das ist wieder präsent.Vielleicht ist die Aufgabe die einer Unterscheidung: Die Idylle zu durchschauen und die Zuwendung zuzulassen. Nicht in dem Sinn, dass man in der Weise kritisch wird, weil man Angst hat, enttäuscht zu werden. Sondern eher so, dass wir nach den Kriterien suchen zur Unterscheidung. Ich möchte dazu einladen: So, wie wenn man sich die Mühe macht, zur Quelle zu gelangen. Das geht am ehesten, wenn man in die biblischen Texte schaut. Ich halte mich dabei am liebsten fest an das Ende des Lobgesangs des Vaters vom Täufer Johannes. Er preist darin Gott für das Geschenk und die Berufung seines Sohnes. Am Ende geht der Lobpreis über das Geschenk dieser Geburt hinaus. Er öffnet sich für das, was noch kommt. Und es ist offensichtlich, dass Jesus Christus gemeint ist. Da heißt es: Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns das aufstrahlende Licht aus der Höhe besuchen. Durch die barmherzige Liebe, das ist Grundmotiv für alles, was Jesus betrifft. Also ist die Botschaft der Weihnacht eine tiefe Zuwendung. Vor aller ersehnten Zuwendung von Menschen oder auch vor der Enttäuschung von nicht bekommener Zuwendung sind wir schon geliebt. Gott wird ein Mensch. Das ist so unglaublich, so besonders, so einzigartig. Und darin wird er so sehr mit uns eins, dass er nicht mehr zu unterscheiden ist. Wenn die Engel nicht gesungen hätten, hätte niemand irgendetwas von dem Wunder wahr genommen. Nein, stärker: Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass hier Gott zu finden ist wie nie zuvor.. Das kann heißen: Selbst wenn Du nichts spürst, nichts erkennen kannst, ja, wenn Du den Ort oder den Moment mit Gott nicht zusammenbringst, er ist da. Liebe verwandelt, indem sie teilt. Und wirklich Mensch?! Ganz verletzlich wird er, liefert sich aus. Auf einer alten Wandmalerei kann man sehen, wie Maria ihr Kind stillt. Alles Menschliche wird zum Ausdruck von Liebe. Darum dürfen wir uns in unserer Ungewissheit, unseren Ängsten, so ungeschützt, wie wir uns fühlen in diesen Tagen, angenommen wissen. Liebe beschützt, indem sie Nähe schenkt. Er kommt damals wie heute in keine heile Welt: wegen einer Volkszählung müssen sie losziehen in eine andere Stadt, es ist kein Platz in der Herberge, Josef erhält im Traum die Weisung, nach Ägypten zu fliehen, denn man trachtet dem Kind nach dem Leben. Als sie ihn in den Tempel bringen, können Maria und Josef nur das Armenopfer bringen. So war es damals. Genauso ist es heute? Er teilt unsere Ohnmacht, unsere Ungewissheit, das Ausgeliefertsein an Interessen von Mächtigen, er teilt Krankwerden und Schmerzen. Und genau darum sind wir tiefer geborgen, als wir Angst haben, jede und jeder soll meins finden. Liebe heilt, indem sie alles teilt. Als erwachsener Mann hat Jesus viele viele Menschen geheilt, wer auch nur sein Gewand berührte, wurde gesund, berichtet das Evangelium. Deshalb tun wir unseres, um uns or Ansteckung zu schützen, aber zugleich vertrauen wir uns ihm an. Nicht nur, dass die Pandemie bald vorbei ist, sondern dass wir heil werden, die Menschen werden, die uns in dieser Nacht verheißen sind. Von Menschen sind wir in diesen Tagen unberührt, aber er wird ein Mensch, um uns zu berühren. Ich glaube, es lohnt sich, dem nachzusinnen, was die Engel singen. Sie sagen „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohngefallens.“ Ehre sei Gott, in diesem Geschehen wird Gott wirklich geehrt, erweist sich Gott als herrlich und groß. Und Frieden den Menschen seines Wohlgefallens. Wenn wir uns dem öffnen, dann liegt darin ein Frieden, eine innere Gewissheit: Nein, ich komme nicht zu kurz, ich verpasse nichts, ich mussnicht um irgendwas kämpfen und mich empören, neidisch sein oder mich verteidigen, denn ich habe ja schon das, was ich ersehne: eine wirkliche Zuwendung. Frieden empfangen: es kann mich öffnen! So wie die Familie die Urzelle allen Zusammenlebens ist, so ist diese Zuwendung zu jeder und jedem die Urzelle allen Friedens. Ich wünsche Ihnen, Euch und mir, dass es für uns Weihnachten wird, dass wir entdecken, dass die Zuwendung uns gilt und Du und ich sagen können: Ich hab meins gefunden. Das bringt Licht in die Seele und heilt uns von innen. Und dieses Licht hat Kraft, es leuchtet in alles Dunkel und durchstrahlt es. Es öffnet unsere Augen für die Herrlichkeit Gottes und unsere Ohren für das meistgebrauchte Wort der Engel in der Bibel: Fürchtet euch nicht! Es öffnet uns füreinander. Jochen Klepper hat in einem Lied so versucht, Worte zu finden: Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und-schuld. Doch wandert nun mit allen, der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält uns kein Dunkel mehr; von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.