Herzlich Willkommen

Predigt zum 26.07.2020

von unserem Pfarrer Vornewald

Guck mal, was ich gefunden habe! Das gibt’s doch gar nicht. Schöner, besser, als ich es erträumt habe. Das Herz klopft, Du kannst es nicht fassen! Ich, mir??? Du machst ein Freudentänzchen, oder irgendetwas anderes, was man halt macht, wenn etwas die emotionalen Möglichkeiten bis an die Grenzen positiv beansprucht. Jede und jeder in seiner Perspektive, in seiner Art und Lebensgeschichte, der eine findet es im Acker, die andere eine ganz besondere Perle! Auf alle Fälle ganz kostbar, absolut besonders. So, dass Du sofort bereit bist, alles aufzuwenden, um es zu bekommen. So ist es mit dem Himmelreich …, sagt Jesus. Das leuchtet unmittelbar ein.
Bloß, ist das Thema bei uns? Haben wir ein Strahlen in den Augen, wenn wir an die Kirche denken? Ich weiß, das klingt hart, aber das Leben der Christen drehte sich jahrhundertelang um ganz andere Dinge. Da ging es um die Gebote, die man halten muss, die Gebote Gottes und die Gebote der Kirche, um bestimmte Lehrformeln, die man aus dem Katechismus auswendig zu lernen hatte. So hatte man eine feste Ordnung, wusste, was man zu tun und zu lassen hat. Und man wusste, was zu glauben ist, das gab Orientierung und Sicherheit. Bloß, hat man es nicht auch deshalb getan, dass man nicht auffällt und nicht von den anderen verstoßen wird? Hinterfragt werden durfte nicht, denn das hätte bedeuten können, dass jemand die gute Ordnung zerstört. Solche Bestrebungen mussten zum Wohl aller unterbunden werden. Und es galt, die Ordnung nach außen aufrecht zu halten, wir sind eine gute Familie! Was im Innern vorgeht, ging nur bis zu einem bestimmten Punkt die anderen etwas an. Nur rauskommen durfte nichts. „Du musst das Wörtchen „man“ ganz nahe an die Gebote Gottes schieben“, sagte mir der alte Pfarrer eines Dorfs im Sauerland kurz vor meiner Priesterweihe. Aber wenn man die Gebote Gottes hält, wie man das kleine Wörtchen „man“ als vorgegebene Norm annimmt, dann tut man dies aus der Angst, dass man nicht dazu gehört, sondern ausgestoßen wird, wenn man von dem abweicht, was die andern erwarten. Unwillkürlich hat man das auf den Auftraggeber der Gebote übertragen: Ich tue, was von mir erwartet wird, weil Gott mich sonst verstößt, und ich nicht in den Himmel komme … Dass der christliche Glaube als Schatz entdeckt werden kann, hat wohl nur wenige erreicht. Wie auch, wenn ich schon immer darin bin und gar nicht anders kann, als mitzumachen. Im Gegenteil, die eigene Religion wurde nicht als Geschenk empfunden, sondern oft als Pflicht, die man ableisten muss. Schließlich muss ich ja was dazu tun, dass Gott mich annimmt. Besser ist das, ich muss es mir verdienen. Und je mehr ich dafür opfere, um so besser. In Herzebrock, meiner ersten Pfarrei, habe ich mal am Ende der Vorabendmesse gesagt (in die man ging, um es hinter sich zu haben): „Und nun sage ich ich nicht: Rette sich, wer kann, sondern: Gehet hin in Frieden.“ Wenn es Leute gab, die eine Entdeckung des Glaubens als ihr großes Lebensglück geschenkt bekamen, so gingen die meistens ins Kloster oder ähnliches. Und die waren vielleicht eine Einladung, selber den Glauben persönlich zu wählen. Aber manchmal erhöhten solche Vorbilder, die dann den Anderen vor Augen gestellt wurden, nur den Druck, was man alles leisten muss … Obwohl, es konnte auch attraktiv sein, die gebotenen Dinge gut und besser zu tun, denn dann gehörte man zu den Guten und konnte zu die Anderen herabschauen. Das war alles so, wie es war, wir können es nicht beurteilen.
Wichtiger ist: Was passiert, wenn sich diese in sich geschlossene Welt auflöst? Wenn es möglich wird, sich den Blicken und dem Zugriff der Autoritäten und anderer zu entziehen? Wenn sich all die Dinge, die geglaubt wurden, durch äußere Einflüsse relativieren, wenn so das Wörtchen „man“ nicht mehr so richtig taugt, um Orientierung zu finden und eine Identität aufzubauen? Dann passiert genau das, was man mit allen Kräften verhindern wollte: Jede und jeder macht, was er will. Dann lebt man nicht mehr außengesteuert, „was sagen die Leute?“ sondern innengesteuert „Was bringt es mir?“
Die Hauptangst ist dann nicht mehr, aufzufallen und verstoßen zu werden, sondern eher, etwas zu verpassen und nicht das zu bekommen, was das Beste für mich ist.
Genau dieser Wandel hat sich in den letzten 50 Jahren in unserer Gesellschaft vollzogen, im Osten wie im Westen, wenn auch unterschiedlich. Natürlich gibt es auch heute noch das Wörtchen „man“, aber es ist die neue Fragestellung eingebettet. Ich habe einen Cartoon gesehen: Ein Koch sitzt mit versonnenem Gesicht vor einem Frühstücksei, darunter steht mit geschwungenen Buchstaben: Esst Scheiße, zehn Milliarden Fliegen können nicht irren! Jeder macht, was er will! Die Frage, was will ich, was mache ich aus meinem Leben, was will ich erreichen, was mache ich beruflich, womit verbringe ich meine Zeit, ist nichts schlechtes, Sie ist jeder und jedem aufgegeben. Ich muss sie entscheiden. Frucht und Fluch der Freiheit! Und wenn ich sie nicht entscheide, dann ist das auch eine Entscheidung, denn ich hätte ja auch anders gekonnt. Das ist eine riesige Chance, frei zu werden, als Mensch zu reifen, sich selber zu entwickeln. Aber es ist auch eine große Herausfroderung, an der wir scheitern können, Und eine große Gefährdung, manipuliert zu werden, sich Verlockungen und Angeboten, was für mein Leben gut sein soll, nicht zu entziehen. Die Demokratie braucht solche freien, selbstbestimmte Menschen, die in der Lage sind, das Gute zu wählen, aber wenn man sieht, wie Wahlwerbung zu einer riesigen Maschine der Manipulation verkommt, … so wie in Amerika, aber alles aus Amerika kommt ja irgendwann auch zu uns.
Dieser Wandel betrifft auch das kirchliche Leben: Eine alte Frau hat bei einem Seniorenkreis prophetische Worte gesagt: „Wir müssen aber auch glauben, was wir beten!“ Bei Karl Rahner klang das so: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker oder er wird nicht mehr sein!“ Mystiker, da hat er gemeint, dass jemand etwas erfahren hat, dass ihm bewusst wird, dass es Gott ist, die zu ihm spricht. Und dies für ihn zu einem ungeheuerlichen Glück wird, Sie wissen schon, wo man ein Tänzchen oder ähnliches macht. Von diesem Glück sieht er sein ganzes Leben in einem anderen Licht, seine Mitmenschen, seine Umgebung, das Tischgebet wird zum Bedürfnis und das Essen schmeckt auch tatsächlich viel besser. Das klingt fromm, ist aber etwas ganz anderes: Da hat jemand auf seiner Lebenssuche etwas ganz kostbares gefunden. Alfred Delp hat es so gesagt: „Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Begegnung mit Gott!“ Beim einen ist das eine bestimmte Lebenserfahrung, bei einem anderen eine Entwicklung, die sich zeigt in den Entscheidungen, die er fällt an seinen Lebensweichen. Ich frage mich heute noch, wie ich das gemacht habe, meinen geliebten Fußballverein aufzugeben, weil mit dem Eintritt in die Erwachsenenmannschaft das Training an den selben Werktagabenden war wie die Jugendtreffen in der Pfarrei. Das ist mir schwer gefallen. Wenn ich es nicht so entschieden hätte, wäre aus mir was ganz anderes geworden.
Die freie offene Gesellschaft ist eine große Chance, das Evangelium für sich zu entdecken und von daher gesehen ein wirkliches Glück für die Kirche. Kirche, das kommt von Kyriake. Das sind die, die Kyriake sind, die Jesus als ihren Kyrios gewählt haben, sich ihm anvertrauen, ganz frei. Ihm Autorität geben, weil sie entdeckt haben, dass das das Beste für ihr Leben ist. Gehöre ich dazu, gehören Sie dazu? Dass es früher anders zuging unter uns, fällt uns jetzt auf die Füße. Es gibt keinen Druck mehr, zumindest keinen, der uns so beherrschen kann wie es früher war. Der Gottesdienst als äußere Pflichterfüllung wird abgelegt. Es mögen viel weniger sein, die zum Gottesdienst kommen, doch die sind anders da. Die Entwicklung in der Coronakrise hat dies verschärft. Aber es ist sehr schön, mit denen Gottesdienst zu feiern, die sich darauf einlassen, auch wenn man sich dafür anmelden muss und manches liebgewordene wie zum Beispiel Gesang nun nicht so möglich ist wie früher.
Dass ich frei bin, ist eine Chance. Aber es ist auch schwierig. Denn man muss sich wirklich dafür entscheiden. Bei beiden Gleichnissen verkaufen die, die ihren Schatz entdeckt haben, alles, um den Schatz zu erlangen. Wer nicht im Vagen bleibt und sich doch lieber alles offen hält, sondern zu einer echten Entscheidung findet, der erlangt den Schatz. Dazu braucht es Erfahrungen, die ich machen darf und die überwältigende Logik des Evangeliums, die einem einleuchtet. Seelsorge bedeutet dann als erstes, für solche Erfahrungen zu öffnen. Katechese mit Kindern ist dann nicht zunächst Wissensvermittlung, sondern der Versuch, ihnen das Herz zu öffnen, dass Gott sie liebt, dass sie für Jesus und für uns, die seine Jünger sind, wirklich wichtig sind. Erst kommt das Interesse, dann folgt das Wissen. So ähnlich, wie Jungen das Alter und die Erfolge der Spieler ihrer Lieblingsmannschaft vorwärts und rückwärts kennen.
Aus einem solchen Interesse und Betroffensein finden sich hoffentlich Menschen unter uns, die sagen, wir möchten miteinander das Himmelreich leben und darum Verantwortung in der Kirche übernehmen. Dabei braucht es dann keinen, der sagt, was zu tun ist, sondern Begleitung auf Augenhöhe. Jesus sagt doch: Nennt niemand auf Erden Euren Vater, und niemand Euren Meister, niemand Lehrer oder gar Herr, Ihr alle seid Schwestern und Brüder. Geschwister sein aber bedeutet echte Teilhabe. Ich war so froh, dass so etwas unter uns jetzt wachsen soll, dass ich nicht mehr als der gefragt bin, von dem man erwartet, dass er den Herrn, den Meister oder den Vater gibt. Schon kommt aus Rom eine Instruktion, wo man eine solche Entwicklung zurückschrauben will. Liegt das vielleicht auch daran, dass die, die es schreiben, sich Monsignori nennen, das heißt „meine Herren“, und der, der es gutheißt, ehrfurchtsvoll „heiliger Vater“ genannt wird. Solange keiner „heiliger“ aus Versehen groß schreibt, egal.
Es bleibt bei der Frage, ob wir den Weg zu einer freien Glaubensgemeinschaft gehen, wo es um das Himmelreich geht!