Herzlich Willkommen

Predigt zum 05.07.2020

von unserem Pfarrer Vornewald

(zum 05.07.2020)

Leider musste die geplante Pilgertour in Richtung dem Berg der Kreuze in Litauen ausfallen. Wegen der Gefahren, die mit dem Corona-Virus verbunden sind, wäre es unverantwortlich gewesen, mit einer großen Gruppe von 25 Personen aufzubrechen. So werden wir erst im nächsten Jahr den ersten Abschnitt nach Polen rein radeln können. Aber allein oder mit zwei oder drei Personen kann man los. Und da die Woche ja sowieso von den meisten freigehalten worden war, haben das einige genutzt. Wir fanden wir uns zu dritt, um so etwas wie eine Pilgervorabtour zum Berg der Kreuze zu machen. Für mich war es auch wichtig, als Leiter der Pilgerguppe schon einmal da gewesen zu sein. Daraus wurde die Idee geboren, mit der Fähre von Kiel aus nach Klaipeda zu fahren und von dort mit dem Fahrrad zum Berg der Kreuze. Übernachten wollten wir im Freien, nur ein Tarp über uns (eine Zeltfolie). Es wurde eine echte Er-fahrung! Am Sonntagabend kam die Fähre in Klaipeda an, von da an sind wir einfach losgeradelt. Wir fuhren immer gen Osten, haben uns zur Nacht einen Platz zum Schlafen gesucht. Es ging durch ein dünn besiedeltes Land, in dem es sehr viel einfacher zugeht als bei uns. Nach zwei Tagen auf dem Fahrrad war es am Abend soweit: Wir erreichten den Berg der Kreuze. Von weitem schon sah man eine kleine Erhebung. Als wir näher kamen, sahen wir eine einzelne Kreuzesdarstellung, vor der wir angehalten haben. Ein paar Meter dahinter begann dann wie in einem riesigen Halbkreis nach außen weit offen eine riesige Ansammlung von Kreuzen, große und kleine, viele aus Holz, aber auch aus anderen Materialien, mit den unterschiedlichsten Weisen, die uns in den Evangelien überlieferte Szene auf dem Hügel Golgotha darzustellen. Ich musste an eine Strophe in einem Hymnus am Herz-Jesu-Fest denken, die mir früher schon mal viel aufgeschlossen hat:

Am blut’gen Holz bist du erhöht

und breitest weit die Arme aus!

Und offen zeigst du uns dein Herz,

vom Stoß der Lanze bloßgelegt.

Die Szenerie hatte etwas erschütterndes, so viele Kreuze. Aber ich fühlte mich genauso stark angenommen und geborgen. Die vielen Kreuze, nach rechts und nach links hin, waren wie ganz weit ausgebreitete Arme, die uns umfingen, und der Weg in der Mitte des Hügels, wo man durch die riesige Anzahl von Kreuzen hindurch gehen konnte, war wie ein große Einladung. Kommt und seht! Mit einer Scheu und Ehrfurcht bin ich dort hineingegangen. Jedes der Kreuze und und einiger anderen Gebetszeichen hatte seine eigene Geschichte, war ein Zeichen von einem Menschen mit seiner Liebe, zu Jesus, der zu sehen ist im Moment seines Todes, aber auch zu anderen Menschen, manchmal zu sehen an den Namen, die draufgeschrieben waren. Jede und jeder mit seiner Geschichte, mit seinen Erfahrungen, mit Ängsten und Sorgen. Jedes noch so kleine Kreuz erzählte etwas davon und hielt es doch im Schweigen Jesu verborgen, es war wie ein Schrei und zugleich das Mittendrin in einem großen Frieden. Die harten Hölzer und das oft verzerrt dargestellte Gesicht und sein Körper waren verstörend und erschreckend, und oft waren an ein Kreuz noch viele andere Kreuze drangehängt worden. Man spürte das Vergängliche der Zeit, das Holz verwittert und manchmal auch gebrochen, manches war runtergefallen oder hing schief. Es war so, wie es war. Hier wurde nichts beschönigt, es war so, wie es durch die Menchen geworden war, die hier ein Zeichen ihrer Verzweiflung und Sehnsucht aufgestellt hatten, einen Anker herunter gelassen für Halt und Sicherheit auf dem offenem Meer ihres Lebens. Und viele Kreuze waren da ja nicht für sie selbst, sondern ein Ausdruck ihres Gottvertrauens für andere, für Lebende und Verstorbene. An das, was auf den tausenden Kreuzen tausendfach dargestellt ist, wird man sich wohl nie gewöhnen können, wenn man es ernst nimmt. Ein toter Mann, der gerade ein grausiges Sterben durchlitten hat, ist Gott, der uns so seine Liebe erwiesen und geschenkt hat. „Musste nicht der Messias all das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen?“, sagt Jesus zu den Emmausjüngern. Und in den unterschiedlichen Darstellungen kann man unterschiedlichste Aspekte dieser einen Wirklichkeit entdecken. Mal ist er als der große Sieger geschnitzt, als König, mal als der, der den Frieden Gottes gefunden hat, mal hört man das WARUM und die entsetzliche Leere und Stille keiner Antwort, mal entdeckt man etwas zärtlich liebevolles auf dem Gesicht und der Gesten seines Körperr, und dann wieder sieht man die Grausamkeit, die ihm von Menschen angetan wurde. Jedes eine Botschaft, die viel über Gott und auch über uns Menschen erzählt, zum Trost und zugleich zur Spiegelung eigener Motive und Sichtweisen. Und in alledem entschlüsselt sich eine abgründige Liebe:

Am blut’gen Holz bist du erhöht

und breitest weit die Arme aus.

Und offen zeigst du uns dein Herz,

vom Stoß der Lanze bloßgelegt.

Der ganze Berg der Kreuze lässt die Einladung des heutigen Evangeliums erfahrbar werden: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will Euch erquicken! Meine Arme sind weit ausgebreitet und mein Herz steht offen für Euch! Kommt alle zu mir! Bei mir findet Ihr Frieden! Ihr dürft alles bei mir abladen, die vielen Kreuze, die ihr tragen müsst, Ihr könnt Euch anvertrauen. Ich bin gütig und von Herzen demütig. Kein Superheld begegnet einem hier, sondern Demut, die einem das Herz und das Leben öffnet, grundlose Güte, die entlastet und befreit. Jede Last, die man mitschleppt mit sich selbst oder in der Sorge um andere, wird angenommen und übernommen.

Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern zu retten! Also hat auch Schuld hier einen Ort, wo sie als vergeben zurückbleiben kann. Und wir starten in ein neues Leben, tiefer geliebt, als wir uns über uns schämen, reich beschenkt. Auf diese Weise möchte uns Gott davor bewahren, böses zu denken, böses zu tun und böse zu werden. Wer sich auf ihn einlässt, wird aus Dankbarkeit leben. Das macht das Leben leicht und froh. Das ist sein sanftes Joch, die leichte Last, mehr soll keiner tragen.

Doch wie findet man dahin? Der erste Satz des Gebetes Jesu gibt einen entscheidenden Hinweis. Ich muss mein Bescheidwissen zurücklassen, mit dem ich meine, ich könnte die Dinge selber regeln, mit dem ich Loslassen und Vertrauen immer wieder umgehe. Damit lande ich nur immer wieder bei mir und es ist wie zuvor. Und es ist anstrengend und ein Kampf, immer wieder über die Dinge zu kommen und dann drüber zu stehen, um die Oberhand zu behalten. Den Weisen und Klugen bleibt es verborgen, sagt Jesus. So komme ich nicht weiter. Den Unmündigen, den Kleinen wird es offenbart, betet er zum Vater. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich gelangen, sagt er. Ich muss es mir zeigen lassen, meine eigene Bedürftigkeit nach Liebe, nach Halt annehmen. Was in leistungsorientierten und selbstoptimierten Lebensentwürfen als Schwäche belächelt wird, ist nur ehrlich und realistisch. Und da manche Selbsterkenntnis in das eigene Leben nicht leicht ist, ist das auch mutig. Es braucht Vertrauen. Darum hat es ganz viel zu tun mit dem, was wir Glauben nennen. Es ist der Zugang zu Gott, der jede und jeden von uns ohne Vorbedingung und Leistung liebt, einmalig liebt. Er hat seine Arme weit ausgebreitet und sein Herz steht offen für uns. Er sagt: Kommt alle zu mir!