Herzlich Willkommen

Predigt am 22.3.2020

(3. Fastensonntag)

Zuversicht aus dem Licht Gottes

Bei den Nachrichten mit den Entwicklungen der letzten Tage musste ich an eine Kurzgeschichte von Friedrich Dürrenmatt denken. Sie vermittelt eine grausige Vorstellung, es fiel mir damals schwer, sie bis zum Ende zu lesen. Es fängt ganz harmlos an, es ist alles wie immer. Ein junger Mann steigt am späten Sonntagnachmittag in einen Zug, um zu seinem Studienort Zürich zu kommen. Und nach zwanzig Minuten fährt der Zug, wie er es kannte von vorherigen Fahrten auf dieser Strecke, in einen kurzen Tunnel ein. Doch dann bemerkt er, dass der Tunnel nicht aufhört. Eigentlich hätte er schon nach kurzer Zeit vorbei sein müssen, aber dieser Tunnel endet nicht. Es geht immer schneller ins Dunkel hinein. Die Leute im Zug stört das nicht, sie gehen ihren Interessen nach, jeder ist in seiner Welt. Der junge Mann wendet sich an den Zugführer. Als sie in die Lokomotive klettern, bemerken sie, dass der Führerstand leer ist, der Lokführer nicht da ist. Er war nach 5 Minuten, weil er sah, dass es aussichtslos ist, abgesprungen. Die Bremsen und die anderen Hebel auf dem Schaltstand funktionieren nicht, die menschlichen Apparate zeigen sich als hilflos überfordert gegenüber dem Sog und der Wucht in den Tunnel hinein. Mehrmals heißt es: es geht bergab. Der Zug rast unaufhaltsam immer schneller in den Abgrund. Die Geschichte endet mit dem Satz: Gott ließ uns fallen und so stürzen wir nun auf ihn zu.

Eine irrwitzige Vorstellung. Dürrenmatt habe im Jahr 1952 mit dieser Geschichte auf den Hintergrund von möglichen Entwicklungen, die angesichts von wachsendem Wohlstand gerne übersehen wurden, hinweisen wollen. Deshalb beschrieb er den jungen Mann auch als einen Menschen, der die Fähigkeit besaß, das Schreckliche hinter den Kulissen zu sehen. Es ist von Dürrenmatt bekannt, dass seine Geschichten stets mit der schrecklichsten aller Möglichkeiten enden.

Sind wir auch gerade dabei, in einen Tunnel zu fahren ohne Ende, immer schneller? Wenn man die Zahlen hört, wie sich das Corona-Virus ausbreitet, wieviele Menschen sterben, und die Zahl katapultiert sich wie multipliziert in die Höhe, dann kommen starke Ängste hoch. Wohin führt das? Und es gibt genügend schlimme Entwicklungen, die es wie eine Lawine nach sich zieht: Menschen, die ihre Arbeit verlieren, andere, die ihre Firma schließen müssen, Existenzen werden zerstört, schwierige Erfahrungen von Einsamkeit, Tragödien von Zertrennung, Verwerfungen verschiedener Art, bis dahin, dass es passieren kann wie auf dem Führerstand der Lok, dass die Bremsen nicht mehr funktionieren, dass alles außer Kontrolle gerät, wir führerlos in den Abgrund rasen. Und auch die Weise, wie Dürrenmatt die Leute in dem Zug beschreibt, kommt einem bekannt vor. Sie sehen der Gefahr einfach nicht ins Auge und machen so lange es geht so weiter wie bisher. Wie auch anders: Wenn man sich daran gewöhnt hat, Ängste und schwierige Szenarien zu verdrängen mit viel Spaß und tollen Erlebnissen, in die man hineinschmeißt, um mögliche Fragen, Bedenken und Ängste zuzuschütten, dann wird man das auch jetzt so machen: Ich kann ja sowieso nichts ändern. Und diese Verhaltensweise hat ja durchaus gesellschaftliches Ansehen, denn solche Leute konsumieren reichlich und das kommt der Wirtschaft zugute.

Es gab noch etwas anderes, woran ich in den letzten Tagen denken musste. Es ist eine Erinnerung an unseren oekumenischen Gottesdienst am Aschermittwoch. In seiner Predigt hat Pfarrer Winde auf die evangelische Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ hingewiesen. Die heißt in diesem Jahr: Sieben Wochen Zuversicht. Ich frage mich: was bedeutet das in dieser Fastenzeit, so wie sie uns in diesem Jahr aufgegeben ist. Wie ist das möglich? Wäre es nicht besser zu sagen: Sieben Wochen Verunsicherung? Pfarrer Winde hatte damals herausgearbeitet, dass es nicht um eine Vertröstung geht, sondern um eine wirkliche Kraft, die den Schalter im Kopf umlegen kann (das sind jetzt meine Worte). Doch woher soll diese Zuversicht kommen, quasi angesichts des Tunnels?

In der Fastenzeit geht um eine Erneuerung unseres Getauftseins . Dafür werden es an den Sonntagen die drei großen Taufgeschichten aus dem Johannesevangelium gelesen. Heute ist das die Geschichte von dem Mann, der blind geboren war und durch Jesus geheilt wird. Es beginnt damit, dass Jesus sagt: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt!“ Dann heißt es weiter: „Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, dann machte er aus dem Speichel einen Teig, strich ihm dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Das heißt: der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.“ (Joh. 9,6-11)

Es geht heute an diesem 4. Fastensonntag um das Licht, dass wir bei der Taufe empfangen haben. Die Symbolik des Johannesvangeliums kann man vielleicht so übertragen: Die Erde und der Speichel sind ein Hinweis darauf, dass in Jesus Christus der lebendige Gott ein irdischer Mensch wurde, dass er sich waschen soll in dem Teich, ist das Geheimnis der Taufe. Der Teich hat den bezeichnenden Namen: der Gesandte. Der Gesandte ist Er, Jesus Christus. In der Taufe sind wir in ihn eingetaucht, mit ihm gestorben und zum Leben auferstanden. Dass er nach der Waschung sehen kann, ist das Licht, das wir in der Taufe empfangen. Nicht mehr blind, in der Finsternis, sondern sehend geworden, Sein Licht haben wir empfangen.

Licht empfangen und Zuversicht haben, sind das nicht Dinge, wo sich das Eine aus dem Anderen ganz logisch ergibt?! Dass Licht und Zuversicht zusammengehören, wird wunderbar deutlich, wenn wir daran erinnern, was bei unserer Taufe zu uns gesagt wurde: „ … (der eigene Name wurde genannt!), empfange das Licht Christi!“ Danach wurde gesagt, (falls Sie schon als Kind getauft wurden). „Liebe Eltern und Paten, Ihnen wird dieses Licht anvertraut. Christus, das Licht der Welt, hat ihr Kind erleuchtet. Es soll als Kind des Lichtes leben, sich im Glauben bewähren und dem Herrn und allen Heiligen entgegengehen, wenn er in Herrlichkeit kommt!“

Als Kind des Lichtes leben! Sich im Glauben bewähren! Und nicht in führerlos in den nie endenden Tunnel rasen, in eine unentrinnbare letzte Finsternis, sondern dem Herrn und allen Heiligen entgegengehen, wenn er in Herrlichkeit kommt. Das ist die grundlegende Zusage für jede und jeden von uns. Man könnte es so formulieren: „Wenn er in Herrlichkeit kommt“ bedeutet, es ist nicht aussichtslos! „Andra tutto bene“, steht z. Zt. an vielen Häusern in Italien, zu deutsch: „Alles wird gut!“ Man kann das abtun als billige Vertröstung, als Verdrängung. Vielleicht ist aber auch etwas anderes aktiv. Wir haben ein Licht empfangen von Gott. Das gibt die Kraft, uns der Finsternis nicht wehrlos und tatenlos zu überlassen. Oder vielleicht muss man präziser sagen: uns der Angst vor der Finsternis nicht zu überlassen. Wir brauchen nur genau soviel von diesem Licht, dass wir die Angst beleuchten können, dass wir sie befragen können, was sie uns sagen will, wovor sie uns beschützen will. Dann lähmt sie nicht mehr, wird nicht mit jedem Gedanken immer noch größer. Dann wird sie zum Anruf, zur Kraftquelle, jetzt das zu tun, das jetzt nötig und möglich ist. So werden wir, was wir durch die Taufe sind: Kinder des Lichts. Wer Licht hat, hat eine Perspektive.

Was ist das in diesen Tagen:

  • Als erstes alles in unserer Macht zu tun, dass wir alle Möglichkeiten der Ansteckung unterbinden! Dabei konsequent und penibel zu sein, ist unsere gelebte Nächstenliebe.
  • Dann schauen, wo wir helfen können. Wo sind Menschen in eine schlimme Lage geraten? Was ist möglich für mich, für uns? Es haben sich im Pfarrbüro Menschen gemeldet, die bereit sind, für andere Menschen, die das jetzt nicht können, Besorgungen zu machen. Bitte melden Sie sich, wenn Sie oder jemand aus ihrem Blickfeld Hilfe braucht. Und melden Sie sich, wenn Sie helfen wollen. Vielleicht wird daraus eine Art Austauschbörse.
  • Wie können wir aus der Distanz emotionale Nähe schenken? Menschen im Blick haben, die sich über einen Anruf freuen, einen Gruß per Mail oder whatsapp oder sogar einen Brief!
  • Wie können wir das Bedürfnis nach eigener Sicherheit gut austarieren mit den Bedürfnissen anderer (auf dass genügend für alle da ist …)?!
  • Zeichen der Verbundenheit setzen. Um in diesen Tagen das empfangene Licht leuchten zu lassen, wollen wir eine Aktion starten: am Abend um 19 Uhr ein Licht ins Fenster stellen und bewusst das Gebet der Getauften miteinander verbunden beten, das Gebet der Kinder des Lichts: VATER UNSER IM HIMMEL … Sie sind herzlich eingeladen, sich dazu eine Kerze aus unserer Kirche holen. Das sind Kerzen, die vor einiger Zeit Frauen aus unserer Gemeinde für Sie gebastelt haben, dass man sie in der Osternacht als das eigene Tauflicht hält.
  • Die Zeit, die eine ganze Reihe von uns in diesen Tagen mehr hat, nutzen zum Gebet. Das Gebet ist die vermutlich am meisten unterschätzte Kraft, hat mal jemand gesagt. Und es bewusst annehmen, wenn jetzt mal Ihr Hamsterrädchen stehen bleibt. Lassen sie sich nicht schrecken von der Leere, die dann zunächst an einen heranrückt. Man kann sie füllen mit neuem Inhalt, der vielleicht das eigene Leben nachhaltig wieder in gute Bahnen bringt.

Ich weiß, dass sind alles nur kleine Schritte. Wir sind ohnmächtig, keiner weiß wirklich, was kommt. Dürrenmatt hat gemeint, dass das, was alle betrifft, nicht ein einzelner lösen kann. Aber das muss nicht zum Fatalismus führen, sondern es hat für uns eine andere Perspektive. Als die vielen Menschen in der Wüstengegend Hunger hatten, hatte niemand was zum Essen dabei. „Gebt ihr ihnen zu essen!“, forderte  Jesus die Jünger auf. Nur ein kleiner Junge hatte fünf Brote und zwei Fische. Sie waren hillos: „Was ist das für so viele?, wurde gefragt. Das Brot ging durch die Hände Jesu, er nahm es, sprach den Lobpreis, brach es und reichte es ihnen und sie teilten es aus. Und alle wurden satt. Ich finde, damit ist unsere Zuversicht lebendig beschrieben.